| Home   Archiv   Ausstellungen   Autor   Besucher   Copyright   Impressum   Künstlerportrait   Literaturgutachten  Lyrik und Prosa…Presse/Literatur   Presse/Ingenieurarbeiten   Vita | ||
| Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987 …da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im
  Entstehen) z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose
  Fundsache (neu)
   | ||
| zu Olympia – olympische Spiele! | ||
| online und im Buchhandel | Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten  |  | 
| 
 Es werden Gedichte vorgestellt, die in ausgewählten Anthologien
  veröffentlicht wurden, sowie der lyrische Zyklus: „Namenlos
  von meiner Insel, 42 Briefe“, z.B.: Alles ging sehr schnell: In einem nahen, fernen Ausland, wo
  ein  Menschenleben rasch verblühte, Nahm man mich gefangen. Einer Schuld war ich mir nicht
  bewusst, Ich wurde nicht befragt, Und ich gestand. | Im Buchhandel und online: Gedichte, veröffentlicht
  in ausgewählten Anthologien,
  und Namenlos von meiner Insel, 42
  Briefe 108 Seiten, Format A5 3. Auflage Harald Birgfeld Online bestellen sowie im Buchhandel, € 8,90 inkl.
  MwSt. Zum Buchshop ISBN 978-3-73-22-4803-2 Der
  vorliegende Gedichtband ist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar. Auch als E-Book € 6.99  Zum Buchshop ISBN 978-3-73-22-7798-8 | 
Inhaltsverzeichnis, Gedichte, veröffentlicht in ausgewählten
Anthologien
und
Inhaltsverzeichnis, Namenlos von meiner Insel,
42 Briefe
"Es lohnt sich,
einmal einen heutigen Dichter kennen zu lernen, der mit der deutschen Sprache
einen faszinierend fremden Weg betritt und trotzdem dem Leser Freiraum lässt
für eigene Gedankengänge, ohne dass die Probleme in erhobener Zeigefingermanier
zu zeitkritischen Trampelpfaden werden." (1986: Gutachten).
Harald Birgfeld, von Beruf Diplom-Ingenieur, schrieb die meisten seiner Gedichte während der morgendlichen Fahrt mit der Hamburger S-Bahn zur Arbeit. Seine Texte entstanden fast immer bereits in endgültiger Form.
Copyright 2014 beim Autor, Harald
Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne
schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald Birgfeld, reproduziert werden.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmung und
Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Herausgeber, Autor,
Redakteur: Harald Birgfeld, e-mail:.  Harald.Birgfeld@t-online.de
    Harald.Birgfeld@t-online.de
Gedichte,
veröffentlicht in ausgewählten Anthologien
| (2009:
  „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
  „Ausgewählte Gedichte XIII“) (2012: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die
  besten Gedichte) (2007: „Liebe in all ihren Facetten“ des Lichtstrahlverlages, 99853
  Gotha)  (2009: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166
  Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte VX“) (2006: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die
  besten Gedichte) (2013:
  „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
  „Ausgewählte Gedichte XVI“) | (2013: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2013 ausgewählt
  für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2008: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2008 ausgewählt
  für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2009: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2009 ausgewählt
  für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2007: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2007 ausgewählt
  für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) | (2010: „Poesiealbum neu“, Gesellschaft für
  zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig) (2008: „Poesiealbum neu“, Gesellschaft für
  zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig) (2008:
  „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
  „Ausgewählte Gedichte XI“) (2010: „Jahrbuch
  für das neue Gedicht“ der Frankfurter
  Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2010 ausgewählt
  für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2010:
  „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
  „Ausgewählte Gedichte XIII“) Wir gerieten in den Gürtel der Meteoriten (2011: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek
  der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte) | 
Namenlos von meiner Insel, 42
Briefe
| Namenlos von meiner Insel,   1.
  Brief,  Gefangennahme, Namenlos von meiner Insel,   2.
  Brief,  Auf dem
  Reaktor-U-Boot, Namenlos von meiner Insel,   3.
  Brief,  Schmerzhaft Sehnsucht, Namenlos von meiner Insel,   4.
  Brief,  Namenlosigkeit, Namenlos von meiner Insel,   5.
  Brief,  Drei junge Frauen, Namenlos von meiner Insel,   6.
  Brief,  Schwere Blütendolden, Namenlos von meiner Insel,   7.
  Brief,  Kunst im Raum, Namenlos von meiner Insel,   8.
  Brief,  Auf der Speisetafel, Namenlos von meiner Insel,   9.
  Brief,  Angst mit Angst
  bekämpfen, Namenlos von meiner Insel,
  10. Brief, Sie kämmte sich Namenlos von meiner Insel,
  11. Brief,  Die drei Frauen, Namenlos von meiner Insel, 12. Brief,  Ob ich Tango tanzen
  könnte, Namenlos von meiner Insel, 13. Brief,  Eine Probefreiheit, Namenlos von meiner Insel, 14. Brief,  Kein Geräusch, Namenlos von meiner Insel, 15. Brief,  Ausgeliefert, | Namenlos von meiner Insel, 16. Brief,  Im „Großen Haus“, Namenlos von meiner Insel, 17. Brief,  Doppelgänger, Namenlos von meiner Insel, 18. Brief,  Ein weiteres Geheimnis, Namenlos von meiner Insel, 19. Brief,  Eine junge Frau, Namenlos
  von meiner Insel, 20. Brief,  Moderne
  Technik, Namenlos von meiner Insel, 21. Brief,  Mit honigsüßen Worten, Namenlos von meiner Insel, 22. Brief,  Unterwasserspiele, Namenlos von meiner Insel, 23. Brief,  Kannst du singen? Namenlos von meiner Insel, 24. Brief,  Ein Spion, Namenlos von meiner Insel, 25. Brief,  BioCurious Namenlos von meiner Insel, 26. Brief,  Zwillingswesen Namenlos von meiner Insel, 27. Brief,  Der Besuch des Gartens Namenlos von meiner Insel, 28. Brief,           Morgen bin ich keine Zeit für dich Namenlos von meiner Insel, 29. Brief          Schreib mich gut (2012, „winter märchen haft“, Winteranthologie,
  novumverlag, Österreich) | Namenlos von meiner Insel, 30. Brief           Sie sind unser Ehrengast Namenlos von meiner Insel, 31. Brief Wären doch Soldaten alle
  so wie Sie Namenlos von meiner Insel, 32. Brief Immer ist der Mensch  allein auf dieser Welt Namenlos von meiner Insel, 33. Brief Nachts lieg ich an
  seiner Seite Namenlos von meiner Insel, 34. Brief Meine Lust
  zu malen Namenlos von meiner Insel,
  35. Brief Neues aus
  der Wissenschaft Namenlos von meiner Insel, 36. Brief In einem sogenannten
  Notfall Namenlos von meiner Insel, 37. Brief Gerne
  hätte ich ihr das geglaubt Namenlos von meiner Insel, 38. Brief Es war
  nicht Platz genug in mir Namenlos von meiner Insel, 39. Brief Hilfe oder
  Menschenraub  Namenlos von meiner Insel, 40. Brief Das sagte
  alles.  Namenlos von meiner Insel, 41. Brief Die Sehnsucht schläft,
   die Sehnsucht wacht Namenlos
  von meiner Insel, 42. Brief Die Beine aber liefen mir vorweg    | 
Gedichte,
veröffentlicht in ausgewählten
Anthologien
| Eigentlich war
  es ganz anders. Immer wünschte ich mir jemanden, Der mich verstehen konnte, Und der Ansatz, dachte ich, Sei gut. | Die Wahrheit aber war, Dass schon der Ansatz In die falsche Richtung zeigte. | Auf dem Bahnhof standen meine Doppelgänger  Überall herum. Sie waren nackt wie ich Und trugen auch darunter Keine Kleidung. Alle warteten Auf meine Ankunft.   | 
| Und zwang mir harte Arbeit ab. In mir, vergaß ich zu erwähnen, Mussten die Gefangnen in den Steinbruch gehn  Und durften über die Gefahren,  Über diesen Zwang, Kein Sterbenswort erwähnen.   | Wenn mich jemand nach mir fragte,  Und ich lügen musste, Drang oft weißer Staub nach außen,  Blässe schoss in meine Wangen. | Trotzdem hielt ich die im Steinbruch  Abgeschnitten von der Welt Und achtete darauf, Dass sie kein Sterbenswort erfuhren. Sie erfuhren nichts Von einer andren Welt. | 
| Dem hatte man das Jesuskind Herausgeschnitten, Das lag auf dem Tisch Und wurde operiert. Die Ärzte waren zu beschäftigt, Um mich zu bemerken, Und ich selbst bemerkte nichts. | Mit meiner Hand griff ich, Wie zum Beweis, Ins Leinwandloch, Das überwachte ein geheimes Auge, Und Alarm wär angesprungen Hätte man mich nicht im letzten Augenblick  Zurück gerissen.   | Ja, man schalt mit mir, Ich sei voll Unvernunft, Dass ich in eine offne Wunde Hatte greifen wollen. | 
| Und seh mich um: Es ist erstaunlich. Die Bedienungsplätze vor den anderen Geräten Sind nicht mehr besetzt. Ich sehe, Dass sich die Geräte selbst bedienen. Ein Verdacht kommt auf.   | Ich seh mich an, Ich denk an mich, Ich denke, dass ich mich am besten Durch mich überprüfen lassen werde. Das hält an. | Ich werde eines Tages eine Antwort  Wissen. | 
| Außerhalb von
  mir: Wo ich das
  Gras vermutete, Wo früher
  Halme wuchsen, Schoss jetzt
  Draht aus Eisen Und Gestänge
  aus der Erde. Es war
  Wachstum, Das sich frei
  verbreitete.   | Von drüben
  kamen Fressmaschinen, Die auf
  dieser Weide grasten, Üppig war das
  Angebot. | Ich steh der
  Flucht entgegen, Den Maschinen
  gegenüber, Meine
  Fingerspitzen Zeigen
  leichten Rost, Vielleicht
  nur Flugrost. | 
| Gürtel der Meteoriten10.000
  Aufschläge, Aufschlag 7101 Drüben sollte ich mich an der Pforte melden und mit einem Messingreifen klopfen, Und ich sah genau, dass hinter dieser Pforte, die ein  Rahmen hielt, sich weiter nichts
  befand,   | Es stand dort kein Gebäude, Und es war kein Mensch zu sehen, Und man sagte mir, dies wäre eine Sache des Vertrauens, Und ich ging und klopfte an. Es war natürlich ganz umsonst, Und auf der andren  Seite fühlte sich nicht einer Angesprochen.   |  | 
| Ich ging hinaus ans kleine Ufer
  dieser Nacht,  Und über mir, das dunkle Blech, Millionenfach durchstochen, Dass das Licht dahinter,  Niederblitzte, Wölbte sich mir zu.  Die Landschaft war allein.   | Von dir erfuhr ich nur, Weil wir zur gleichen Zeit Den Blick zum Großen Bären  Richten wollten. |  | 
| Hinterglasgemälde Draußen stand in einer Fensterhöhe, Oberhalb des letzten Häusergipfels, Außerhalb davon in einer grauen Wand aus Nebel, Leichtem Regen, Schnee, Ein Möwenvogel. | Seine braunen Flügelränder schnitten In der kurzen Zeit des Augenaufschlags Eine Schrift, ein Zeichen, Fast ein wenig Wiedersehensfreude in die Luft, Den Fetzen von Erinnerung vielleicht, Das Staunen, noch in dieser Höhe auf Lebendigkeit Zu stoßen.   | Ich, in meinem einen Fenster, eines Tausendfensterfelsens, Wusste nicht, dass die Gemälde hinter Glas Nur in  Gefangenschaft entstehen.  | 
| Meinem
  Wärter hing ich an, Der
  lebte in dem Räderwerk Und
  war mir unbekannt. Er
  wusste davon nichts Und
  wachte über mir Und
  über mich. | "Ihm,"
  sang ich laut, "Sei
  Lob und Dank. Ein
  guter Wärter ist ein Schutzpatron. Ihm werde
  ich die Füße, Nein,
  die Sohlen seiner Füße küssen." Jeder
  hörte, dass ich ehrlich war.   | In
  meinem Falle Tauschte
  man sofort den Wärter aus Und
  tuschelte:  "Die
  stärkste Liebe Stirbt
  an Trennung." | 
| Man schenkte mir zur Strafe  Eine Reise an ein Meer. | Das Meer war selbstverständlich  Ohne Wasser, Und statt Palmen an der Küste  Standen eng an eng, Als Gitterstäbe an dem Rand, Versteinerungen, alles Menschen, Die sich trotzdem immer noch Bewegen konnten.   | Aber, welch ein Leben führten sie. Sie waren völlig mit sich selbst Beschäftigt, Und sie ließen mich nicht durch Durch sich. | 
| Mein Schatten vor der Tür Und wollte heim, Zurück zu mir.   | Ich hatte ihn bis dahin Nicht einmal vermisst. |  | 
| „Ich bin Delfin Und schwimm im Meer  Dahin.“ | Das ist ein Kinderreim, den hat sich  Mama für mich ausgedacht, Sie hat mir auch noch beigebracht,  Dass ich ein wenig anders bin als
  andere. | Ich habe eine Nylonschnur um meinen Hals, die hatten wir zu Anfang nicht
  beachtet, Doch sie wird mich langsam würgen,  Und sie hindert mich schon jetzt Zu schwimmen und zu springen  Wie die anderen, und ganz zuletzt Werd ich, obwohl ich doch  Ein Kind des Wassers bin, An ihr in meinem Meer, Ertrinken.   | 
| Im ganzen Haus ist alles still. Der Künstler sitzt in seinem Atelier Und blickt auf das Modell In einer Ruhe, die nicht ruhig werden
  will, Und seine Augen geistern über es hinweg Und nehmen hier den Arm, Ein Stück vom Leib beiseite, Legen ihre Beine fort Und schieben sie ihr auf den Rücken. | Gut, dass sie nichts sieht von dem, Was er sich denkt, denkt sie, Sie fände sich nicht wieder. Ihre Haare fallen weich und lang, Das ist ein Anfang, wie er ihn sich
  wünscht, Und diesmal will er alles mit dem
  dritten Auge sehn, Das, hat er ihr erklärt, Sitzt hinter seiner Stirn Und reagiert auf Wärme. Rot wird er sie malen, Rot in allen Tönen, Rot in allen Farben, Und die Leinwand steht Als Halteschild dazwischen.   | Nun, so will er es, Soll sie sich auf den Körper malen
  lassen, Und sie lässt es zu Und lebt ja auch mit ihm, Und aus dem Fenster ruft er In die menschenleere Straße seine
  neue Welt, Und alle lädt er ein zu sich, Danach verlangt er Wein, Sie lebt schon lange so mit ihm
  zusammen Und reicht ihm ein Glas Und denkt an das Vorher, Das wird nachher zum Jetzt, Das muss sie sich bewahren. | 
Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe,
Lyrik
| Namenlos von meiner Insel, 1. Brief,  Gefangennahme Alles ging sehr schnell. In einem nahen, fernen Ausland, wo ein Menschenleben rasch verblühte, Nahm man mich gefangen. Einer Schuld war ich mir nicht bewusst, Ich wurde nicht befragt, Und ich gestand. Man fällte noch in meiner Gegenwart das  Urteil: Tod durch Erhängen, Und dann, als ein Kader Zweifel hatte, Wegen einer Sprachverwirrung: Lebenslängliche Verbannung. | Meinen Namen hatte man mir aberkannt Und schickte mich auf eine  Dieser kleinen Inseln tief im Süden, ohne Anschluss an die Welt. Ich durfte unter wenig Menschen leben. Man versicherte, mit keinem über meine Schuld zu reden. Einmal jährlich darf ich einen Text  Verfassen, der erscheint, wie dieser, Irgendwo und ohne meinen Namen. | Jetzt, mit dieser kleinen Freiheit, Wende ich mich an die Präfektur,  An jede Obrigkeit, Und frage nach: Warum, weshalb, aus welchem Grund Hat man mir Solches angetan. Es geht mir wirklich gut auf meiner Insel Und ich klage nicht Und spreche schon mit einer Frau, Die mich versorgt,  Und sicher bin ich schuldig, Aber ich erfahre nichts  Und bitte die, die über mich Gericht gehalten
  haben, Zu verzeihen: „Geben Sie mir meinen Namen  Wieder.“    | 
| Namenlos von meiner Insel, 2. Brief,  Auf dem Reaktor-U-Boot Es war ein böser Trick, Dass man mich von der Insel Einen Brief verfassen ließ, Man wollte Namen hören Und dass ich die Obrigkeit beschuldigte War dumm von mir, Da gab es kein Verzeihen. Man verbot mir jede Körperpflege Und verschleppte mich auf ein  Das mit reichen Passagieren Bis in größte Tiefen tauchte. | Wochenlang muss ich  In dem Maschinenraum gewesen sein, Und Namen, die man hören wollte, Gab ich zu. Ich musste mich mit einer Lederpeitsche selber schlagen Bis das Blut austrat. Dann schickte man mich wieder heim Auf meine Insel, So, als wär nichts gewesen. | Bei der Frau, die mich versorgte, Fand ich fast wie selbstverständlich Schreibzeug und Papier.  Sie zeigte mir den hohlen Stein In einer Mauer eines Hauses. Dort versteckte ich den neuen Brief, Den schrieb ich gleich nach meiner Rückkehr, Der war schon am andren Tag in einer großen Zeitung  Nachzulesen. Das bewies sie mir in einer Sendung, die sie täglich sah.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 3.
  Brief,  Schmerzhaft Sehnsucht Ich war so maßlos traurig Und so voller Hoffnungslosigkeit. Ich durfte meinen Namen Nicht benennen Und ich wurde nicht danach gefragt. Am Tisch fand ich die Frau, die mich versorgte. Mit ihr saßen dort vier Männer, Die sich friedlich zeigten, Bei der Mahlzeit. Denen teilte sie sich auf, Sie waren Brüder. Mit dem Winken ihrer Hand Bat sie mich hin zu sich An ihre rechte Seite, wo noch Platz war, Auf die Bank.   | Die Männer schauten unbeschwert auf mich, Und einer gab mir seine Hand. Sie aber beugte meinen Nacken Tief in ihren Schoß. Ich drehte mein Gesicht zu ihr Und sah sie von dort unten an.  Sie öffnete ihr Kleid Und beugte sich leicht über mich. Sie gab mir ihre Brust. Ich hatte schmerzhaft Sehnsucht  Nach ein wenig Weiblichkeit,  Die stillte sie auf diese Weise.  Wunderbar durchströmte mich,  Was sie mir tat, Und warme Dankbarkeit  Stieg in mir auf.  | Die Männer nahmen das Geschehen  Wahr und ließen es gelassen zu. Mein dritter Brief, in dem ich  Dieses alles schreiben würde, Lag nur wenig später fertig  Auf dem Tisch, Und einer ihrer Männer nahm  Ihn mit.  | 
| Namenlos von meiner Insel, 4.
  Brief,  Namenlosigkeit Vielleicht ist dies das letzte, Was von mir nach außen dringt. Man holte mich zurück Von meiner Insel, Denn die Richter über mich Verfügten, dass der erste Spruch Doch gültig sei: Tod durch Erhängen. Die Vollstreckung wurde aber  Ausgesetzt. Begründung gab es keine. | Eine Frau vom Komitee nahm mich  Beiseite Und sie sagte mir, ich sollte Alles nicht persönlich nehmen, Weil ich durch den ersten Richterspruch Zur Namenlosigkeit Doch keinerlei Persönlichkeit mehr hätte. Dies wär auch der eigentliche Grund Warum das Urteil nicht  Vollzogen werden könnte. All die andren hätten das ganz schnell Verstanden und auch richtig Darauf reagiert. Ich könnte, wenn ich wollte Heim auf meine Insel  Oder würde namenloses Opfer meines eignen  Handelns werden.    | Auf dem Tisch, an dem ich mich Entscheiden sollte, lagen Bleistift und Papier. Ich schrieb den vierten Brief. Man wartete nun meine Zeilen ab, Die wollte aber niemand lesen, Steckte meinen Brief in einen Umschlag Adressierte ihn und übergab ihn Einem seriösen Boten Zur Beförderung an eine große Zeitung. Mich verbrachte man erneut auf  Meine Insel. | 
| Namenlos von meiner Insel, 5.
  Brief,  Drei junge Frauen Angekommen auf
  der Insel Brachte man mich
  in ein neues Haus. Das Haus war ein
  Geschenk für mich. Es hatte keinen
  Namen an der Tür. Die Frau, die
  mich versorgte Fragte mich nach
  meinem Alter, Und ich wagte
  keine Antwort,  Ihretwegen. Die vier Männer,
  denen sie sich teilte, Waren nicht
  dabei. Am andren Tag
  bekamen wir Besuch von  Fremden in
  Begleitung, Die befragten
  mich in ihrer Sprache. Wenig später
  holte man mich wieder ab Und brachte mich
  erneut Auf das Reaktor-
  U-Boot Und behandelte
  mich besser als die Luxuspassagiere. Der
  Maschinenraum, in dem ich früher An den
  Dampfturbinen Arbeit machte, Blieb für mich
  verschlossen.   | Dann gab man mir gute Kleidung, Legte Wert auf Sauberkeit Und abends war ich mit drei jungen Frauen   Gast bei einem Mann, der über allem stand. Die Frauen hielten Einigkeit und Nacheinander, jeweils für drei Abende, War ich auch Gast in ihren abgedunkelten Kabinen. Jede zeigte Leuchten in den Augen  Mit verheißungsvollen Blicken, Und ich blieb die Nächte. Jede Frau erzählte mir dabei von einem Schicksal, Das sie hatte, dass sie sich von mir Ein Liebesglück versprach,  Das sie, ich wüsste schon warum, Sonst niemals haben könnte, Und sie wollte nur ein Kind von mir. Ich wäre namenlos und hätte doch nichts Zu verlieren. | Ich gab alles zu Und übersah nicht die Gebrechlichkeit Der amputierten Leiber unter mir.  Man brachte mich nach dieser Zeit  Zurück auf meine Insel, zu der Frau, Die mich versorgte, Und sie schwor, dass auf der Insel  Nie ein neues Haus gestanden hätte. Bis hier schrieb ich meinen fünften Brief Und ließ ihn einfach liegen. Der war, wie von mir erwartet Schon am nächsten Morgen  Fort. | 
| Namenlos von meiner Insel, 6. Brief,  Schwere Blütendolden Die Frau, die mich versorgte, War sehr lieb zu mir. Ich glaube nicht, dass sie mich einfach  Liebte, es war viel, viel mehr. Ihr Blick verriet mir, dass sie sich Geborgen bei mir fühlte, Dass sie meine Nähe suchte. Eines Tages schaute sie mich an Und bat mich, sie ins Inselland  Zu führen. Ich war überglücklich, Und es war die Sehnsucht nach dem Schönen, die mich leitete. Ich traute ihr und legte ihren Arm In meinen. Sie bedankte sich mit einem Mädchenhaften Blick zu mir, Doch den verstand ich nicht. | Sie schlug mir
  einen Kurzweg vor Und führte uns
  in einen Garten voller Unbekannter
  Blumen.  Schwere
  Blütendolden streiften unsre  Arme, strichen
  über die Gesichter Als ein leiser
  Hauch  Von zartester
  Berührung. Deren Leichtigkeit
  und warmer Duft Verführten uns,
  dass wir uns an den  Händen halten
  wollten. Sie stand
  plötzlich still Und schloss, mir
  zugewandt, die Augen. Als in einer
  leeren Kirche standen wir In feierlicher
  Ruhe, Und ich gab ihr
  einen Kuss Und wusste nicht
  mehr, Dass sie sich
  vier Männern teilte.   | Diesen sechsten
  Brief schrieb ich Nicht auf. Er hing trotzdem
  bei meiner Rückkehr An der Innenwand
  der Tür zu meinem Raum Und wurde auch
  nicht abgeholt Wie all die
  anderen. Die Frau, die
  mich versorgte Spielte nebenan
  auf einer Okarina ihre
  Melodien. | 
| Namenlos von meiner Insel, 7.
  Brief,  Kunst im Raum Am andren Morgen wurde ich in aller Frühe wach. Ich hörte Männerstimmen  Und die Stimme einer Frau. Man drang in meine Wohnung Und erteilte mir Befehle in der fremden Sprache. Ich gehorchte und mit etwas  Kleidung führte man mich ab ins Freie.  | Draußen kam die Frau, die mich versorgte, Ebenfalls aus ihrer Wohnung, Und sie sah mich an und sah durch mich hindurch. Gelangweilt biss sie ab von einer Frucht in ihrer
  Hand. Ich eilte auf sie zu und wollte etwas sagen, Aber sie blieb fremd und schaute in die Leere.  Gestern hatte ich sie noch geküsst.  Nun lag in ihren Augen Abgewandtheit,  Die mir jedes Wort im Hals erstickte. An der Mauer stand ein Reisigbesen. Den sie nahm, damit den Weg zu fegen,  Doch dann stützte sie sich darauf ab  Mit einem neuen Blick auf unsre Gruppe, So als sähe sie zum ersten Mal ein Kunstwerk, Über das sie staunte. Ohne sich zu rühren wurde sie auf diese Weise Selbst zur Kunst im Werk, im Raum. Und ich, zur Namenlosigkeit verurteilt und zu Lebenslänglicher Verbannung,  Konnte nur noch demutsvoll verharren.   | Wenig später brachten mich die Männer und die
  Frau Erst auf ein Boot zum Übersetzen, Dann an einen Zug und in ein  Abgesperrtes, isoliertes Sitzabteil. Man gab mir dort, was ich benötigte. Die Reise endete nach einem  Tag und einer Nacht in ungewisser  Fahrerei direkt in einem Berg weit unter Tage. Hier, in einem großen Raum mit vielen  Menschen und sehr wenig Licht, Erhielt ich eine neue Bleibe. Die war nur ein Drahtgestell als  Bett mit festem Stoff bespannt. Als ich mich umsah Fand ich unter dem Gestell in einem Umschlag Unbeschriebenes Papier und einen Stift. Ich schrieb den siebten Brief,  Den hob mein Bettennachbar wortlos auf Und trug ihn als ein Bote fort. | 
| Namenlos von meiner Insel, 8.
  Brief,  Auf der Speisetafel Aus dem Berg war kein Entkommen, Aber niemand wurde hier bewacht. Allein der enge Schienenstrang Gab eine Richtung an. Dorthin verschwanden manchmal Leute. In dem Berg war ich zum Küchenpersonal Gerufen worden, ohne Zwang und ohne Mich zu drangsalieren. Niemand nahm sich meiner oder eines andren an. Es gab auch Frauen, die wie wir behandelt wurden. Sie entschieden sich in jeder Sache selbst. In meiner Küche gab es kaum ein Wort zu sagen, Niemand gab Befehle, Niemand hörte zu, falls jemand redete. Das Essen selbst war pünktlich aufgetischt Und wurde abgeräumt von Frauen, Männern, Die man sonst nicht sah. Sie sprachen eine fremde Sprache unter sich. | Beim Essen stellte sich bald eine Enge Bindung ein, vielleicht, weil jedes Essen Eigentlich ganz harmlos einen Namen hatte. Manchmal aber standen  „Blut“, dann „Leber“, „Herz“ und „Nieren“ oder „Lunge“ Auf der Speisetafel.  Das entsetzte uns.  Wir wichen blitzschnell aus, als ein gejagter
  Fischschwarm, Und entflohen.  Dann, bei einem der Tumulte, stieß ich in ein
  Messer Und verletzte mich in Panik an der linken Hand. Zurück blieb eine Narbe. Damals zählte ich die Tage und die Nächte Und blieb länger als ein Jahr und sah kein
  Sonnenlicht. Dann wurde ich, als hätte man mich irgendwo Gefunden, wieder heimgebracht auf meine Insel.   | Dort erwachte ich am hellen Tag Aus tiefstem Schlaf und sah  Die Frau, die mich versorgte, neben mir am Bett.  Ich wollte ihr erzählen und sie fragen, Sie jedoch bestand auf den Besuch der Nachbarin,
  die einen Tag vor meinem Abtransport ein Kind geboren
  hatte, Das war jetzt und heute keine vierundzwanzig
  Stunden alt. Ich sah auf meine Narbe an der Hand Und auf die Frau, die mich versorgte. Sie verneinte mit dem Kopf. Ich schrieb, in mich gekehrt, den achten Brief, Den trug sie augenblicklich fort. | 
| Namenlos von meiner Insel, 9.
  Brief,  Angst mit Angst bekämpfen Meine Briefe fanden nirgends Echo, Dass, obwohl sie nachzulesen und zu hören waren. Niemand fand es sonderbar, Von einem Namenlosen ohne jeden  Umweg etwas zu erfahren.  Die Erlaubnis, Briefe zu verfassen, ohne Dass man an den Schreiben Etwas änderte, erfüllte mich mit Mut.  In Zukunft würde ich mich gleich an jeden  Und an alle in der Heimat wenden Und um Hilfe bitten.  Ich sprach mit der Frau, die mich versorgte,  Und erfuhr, dass meine Briefe schon von Anfang an  Für jeden zugänglich und öffentlich gewesen waren. Dass das Urteil über meine Namenlosigkeit  Und lebenslängliche Verbannung als persönliches Geschick Und meine eigne Schuld empfunden wurde.  Niemand würde sich je um mich kümmern wollen.  | Als die Frau, die mich versorgte,  Meine Angst erkannte, riet sie mir, Ich sollte Angst mit Angst bekämpfen, Und sie sagte:  „Willkür ist der schlimmste Terrorismus“. Das verstand ich nicht. Dann aber kam sie eines Abends, Legte sich entkleidet auf mein  Bett, als wollte sie sich mir beweisen.  Das verwirrte mich, und ich war traurig  Und sah hoffnungslos auf sie herab. Sie aber zeigte mir mit ihrem Finger  An der Taille eine schwarze Tätowierung, Die mich tief erschrecken ließ,  Es war das mittelalterliche Zeichen  Von der Tür zu einem an der Pest Erkrankten.  „So kannst du dich schützen“, sagte sie. Dann sah sie mich sehr lange an.  Ich hätte sie gern lieben wollen, Und mein Herz war wach, Doch das, was ich die Seele nannte, Wog in mir so schwer wie Stein. Ich dachte auch daran, Dass sie sich in vier Männern teilte.   | Nun schreib ich den neunten Brief Und hoffe auf kein Wunder,  Denn ich spüre die Gefahr  Um die Organe meines Körpers. Einer ihrer Männer hat mir das Tatoo gestochen.  Er war freundlich und entgegenkommend. Dieser Brief blieb ein paar Tage unentdeckt, Dann war er fort wie all die anderen. | 
| Namenlos von meiner Insel, 10.
  Brief,  Sie kämmte sich Am neuen Morgen schienen alle meine Spuren wie verweht, verwischt. Ein Ungefühl nach völliger Verlassenheit Stand mir im Hals. Im Haus lag nichts, stand nichts Und es gab nichts, was mich an mich Erinnerte.  Im Nachbarhaus war niemand, und die  Frau, die mich versorgte, gab es scheinbar nicht. Ihr Haus war leer und ohne Möbel,  Kein Gerät und keine Gegenstände. Nichts bezeugte, dass hier jemals jemand ein Zuhause hatte oder hatte haben können, Und es steckte auch kein Schlüssel in der Tür. Ich ging zum Strand und dort entdeckte ich,  Dass meine Spur von mir vor mir im Sand  Zum Wasser führte,  Das entfernte sich mit jedem Schritt  Und immer schneller in die Ferne. | Ich begann dem nachzulaufen, doch es  Floh mit wachsender Geschwindigkeit. Da blieb ich stehen. Statt nun selbst zu fliehen, hielt ich fest an  Diesem Augenblick der Leichtigkeit in mir Und hatte keine Angst. Mit einem Helikopter brachte man mich  Heim auf meine Insel. Nichts an meinem Körper hatte sich verändert, Lediglich ein kleines Pflaster auf dem
  Oberschenkel Überdeckte einen Einstich. Von der Frau, die mich versorgte, sah ich bei der Ankunft gleich den Rücken und die federnd  Dunkelroten Haare, die in langen Locken Fast bis zu den Hüften reichten. Ihr Gesicht sah ich im Spiegel, und sie kämmte
  sich. Sie sah daraus voll Freundlichkeit  zu mir.  Ich hätte meinen Mund, die Nase und die Hände
  gerne  In ihr Haar gedrückt.   | Da kam sie langsam auf mich zu und  Drehte mir, ganz nah, den Rücken zu.  Mit ihrer rechten Hand schob sie die Haare aus
  dem Nacken Über mein Gesicht und über meinen Hals, Und sah mich von der Seite an. Die Leute, die mich brachten, nahmen  Nicht Notiz davon. Es war als stünden wir auf einer Bühne Ohne jedes Publikum.  Mein Herz schlug schnell, Es war der engste Schritt in unsrem Tanz. Ich schrieb danach den zehnten Brief und  Rätselte nicht um Erklärungen. Ich weiß auch nicht, wer diesen Brief und wohin  Weitertrug. | 
| Namenlos von meiner Insel, 11.
  Brief,  Die drei Frauen Ohne Vorbereitung holte man mich ab von meiner
  Insel. Die Bewacher kannten mich,  Doch ihre Sprache blieb mir fremd. Ich zeigte keinen Widerstand, Und war ergeben in mein Los: Zu lebenslanger Namenlosigkeit verurteilt. Der Transport war eigentlich mehr eine Reise, weil man höflich zu mir war und Mich in keiner Weise drangsalierte. Mehrfach wendete man sich an mich mit Fragen oder mit Bemerkungen, Doch die verstand ich nicht. Wir kamen wieder zum Reaktor-U-Boot. Das war aufgetaucht auf hoher See, und ich
  gelangte Aus dem Helikopter über eine Einstiegsluke in das
  Schiff.  Man hatte mich erwartet, und man brachte mich In eine aufwendig gestaltete Kabine, Wo ich, wie das zweite Mal davor, Zur Körperpflege und zur Kleidung alles passend
  fand. | Am ersten Abend hatte ich Begegnung mit dem Mann, der über allem stand. Der lud mich freundlich ein zu einem Essen mit
  den Frauen, die ich von dem zweiten Treffen her  Noch kennen sollte. Das gefiel mir nicht, weil man mir damals Keine Wahl gelassen hatte, und ich nacheinander Mit drei amputierten Frauen für drei Nächte Unfreiwillig schlafen musste. Die drei Frauen kamen auf mich zu Und gaben mir fast schuldbewusst Ein wenig Selbstvertrauen, weil sie mich in
  meiner Sprache grüßten und nach meinem  Wohlbefinden fragten. Ihre Hände lagen dabei voller Stolz  Auf ihren Unterleibern.  Eine trat heraus und sagte mir, wie  Glücklich sie nun wären, und sie kämen  Aus dem Land, wo Männermangel herrschte, Ja, ich sollte alle drei in dieses Land, das hoch
  in  Kalten Bergen liegt, begleiten,  Und ich wäre sofort frei. | Sie überreichte mir drei Fotos von den
  Ungeborenen. An meinem Urteil über lebenslange Namenlosigkeit Vermochten sie zwar nichts zu ändern, Aber sie versprachen Wohlstand und dass ich mit Allen drein gemeinsam leben dürfte. Alle gratulierten mir zu diesem Glück, Und Tränen standen ihnen in den Augen. Ich verfluchte aber diesen Augenblick Und sehnte mich sekundenlang nach
  Selbstkasteiung.  Eine Antwort gab ich nicht. Ich ging statt dessen aus dem Raum durch eine
  Tür,  Die war ein wenig angelehnt, Und stand vor meiner Unterkunft auf meiner Insel, Vor der Frau, die mich versorgte. Sie nahm mir die Fotos aus der Hand Als wüsste sie Bescheid. Ich schrieb den elften Brief Und gab ihr den dazu.  Sie wandte sich mit einem Lächeln ab Und ließ mich wortlos stehen.  Mir im Rücken spürte ich die Unzufriedene Gesellschaft.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 12.
  Brief,  Ob ich Tango tanzen könnte Die Frau, die mich versorgte, Saß in meinem Zimmer auf dem Stuhl An meinem Bett. Ich stand davor und sah auf sie herab. Ich wusste nicht, wie weit ich ihr Vertrauen durfte, und ich hätte sie sehr gerne Sehr begehrt. Da stand sie auf und fragte, ob ich mit ihr Tango tanzen würde, ob ich  Tango tanzen könnte. Dabei senkte sie den Kopf und  Blickte mich von unten stolz und sehr ernst an Und legte meinen rechten Arm an ihre Taille und begann mit ihrem linken Fuß Den Takt zu stampfen. Ich war irritiert, mir fehlte die Musik. Doch ihre Schritte und ihr Leib, und weil ich
  ihre Körperliche Enge, Haut an Haut, verspürte, Ließ ich sie sich von mir drehen und sich an mich
  reißen, Und ich wurde ihr zum Halt  Und sie mir meine einzige Trophäe.   | Sie trug eine luftig weite, ärmellose, weiße
  Bluse,  Ihre blanke Stirn warf Sonnenlicht zurück,  Und in der Anmut der Bewegungen  Ließ sie die Blicke  Mir nicht aus den Augen gleiten. So gab sie sich ihrem Tänzer hin, In unsrem Atem waren wir vereint. Wir tanzten kurz und schnell  Bis sie sich plötzlich ganz aus meinen Armen rollte und zurückgedreht, wie leblos  Mir zu Füßen sank. Ich war wie sie erschöpft und half ihr auf. Es roch nach Sperma. Meine Frage nach Vertrauen stellte sich nicht
  mehr. | Sie tänzelte noch für Minuten durch den Raum, als müsste sie ein Puzzle Stück für Stück und Schritt für Schritt Zusammensetzen und zusammenfügen, Eine Kette von zerrissenen Ereignissen Für sich noch einmal nacherleben. Dann gab sie mir flüchtig einen Kuss Und stützte sich dabei auf meinen  Armen ab. Der zwölfte Brief lag tagelang auf meinem Tisch, als sollte ich mir alles gründlich
  überlegen. Danach war er fort.  | 
| Namenlos von meiner Insel, 13.
  Brief,  Eine Probefreiheit Ich wurde wieder abgeholt. Es sollte neu verhandelt werden. Sicher zweifelte nun keiner mehr an meiner Unschuld und ich käme frei.  Die Frau, die mich versorgte, Wollte einfach mit mir kommen, Und man hatte scheinbar nichts dagegen, Doch man tat als gäbe es sie nicht. Ich kam erneut vor ein Gericht. Die Frau, die mich versorgte, Sprach als Übersetzerin zu mir Und ließ mich wissen, dass man mir  Zur Probe, also auf Bewährung, Meine Freiheit geben wollte. Diese Probe, diese Freiheit, hätte nichts Mit mir zu tun und änderte auch nichts an meinem
  Urteil,  Nein, sie wäre eine Probefreiheit meiner alten
  Welt. Die sollte sich bekennen. Das verstand ich nicht. | In meiner alten Heimat angekommen Sah ich gleich, dass an der Eingangstür Ein fremder Name stand, und Nachbarn, die Ich kennen musste, gab es nicht. Man sprach mich aber an und fragte, Ob ich der sei, der im Ausland zwar begnadigt, Aber schuldig und verurteilt worden sei. Die Frau, die mich versorgte, Sagte mir, dass diese Leute nur das Wissen
  hätten, Das ich selbst in meinen Briefen mitgeteilt  Und fortgegeben hätte. Niemand hier bezweifelte die Schuld an mir Und dass es alles schon mit rechten Dingen Zugegangen sei.  Man wendete sich ab. Es hieß sogar, dass man mich hier nicht haben
  wollte, Und man kehrte mir den Rücken. | Auch die Frau, die mich versorgte, war kein
  Trost, Im Gegenteil.  Von ihr erfuhr ich nämlich, dass man mir die
  Heimkehr Auf die Insel offenhielt, ich brauchte dem nur
  zuzustimmen. Namenlos in meiner Heimat, sollte ich mich wie in
  der Verbannung  Unfreiwillig und doch freiwillig dem Urteil, dass ich nicht verhindern konnte, beugen, Und mich fremdbenutzen lassen.  Einzig in der Frau, die mich versorgte, sah ich  Noch die Hand, die sich mir bot, Und floh in Angst mit ihr zurück auf meine Insel. Diesen vielleicht letzten Brief schrieb ich In großer Eile, und er wurde, wie noch feucht, Mir aus der Hand gesogen und verschwand.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 14.
  Brief,  Kein Geräusch Diesen Morgen schlief ich lange Und erwachte von der Ruhe um mich
  her. Von draußen drangen keine Laute, kein
  Geräusch zu mir, Es schien als wäre alles das, was
  mich umgab, in  Stoffe, Tücher, Watte eingeschlagen. Dumpfe Stille hielt den Atem an. Ich ging an meine Haustür Um hinauszuschauen, Doch sie war verklemmt, Es drückte sie von außen etwas zu. Ich sah durch einen Spalt  Und fand ganz eng ans Haus
  gewachsenes Gestrüpp, dahinter Bäume, aufrecht
  und gestürzt, Die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Urwald hatte sich dort ausgebreitet.  Durch das Fenster war ein starker Ast
  gewachsen, Der stieß an die Zimmerdecke. Jenen kleinen Sandweg, der zu meiner  Haustür führte, hatte sich Natur
  zurück erobert. Ich stieg an dem Ast ins Freie. Niemand war zu sehen.  Weit zu gehen traute ich mich nicht, Ich hatte Angst, es war mir alles
  fremd. | Ich kletterte zurück ins Zimmer. Es war dunkel hier und Lampen
  funktionierten nicht. Ich setzte mich zurück aufs Bett. Da öffnete sich eine Tür, die ich
  zuvor noch nie  Gefunden hatte, neben meinem Bett in
  einen andren Raum. Der war mein ursprünglicher Wohnraum
  in Kopie, Ganz gleich und ohne diesen
  Wildwuchs. Alles dort war so wie ich es kannte,
  so wie immer. Etwas seitlich hielt die Frau, die
  mich versorgte, Mit der rechten Hand den Türgriff, Und mit ihrem linken Zeigefinger
  winkte sie mir zu, Dass ich ihr folgen sollte. Dann verschwand sie hinter ihrem
  Türblatt.  Ich stieg übers Bett nach drüben,
  doch sie hatte diesen Raum Schon durch die Eingangstür
  verlassen.  Ich trat ebenfalls nach draußen und
  fand alles Unverändert und vertraut wie eh und
  je. Der Sandweg führte als ein Rinnsal
  auf die  Haustür zu, und alles war
  verlässlich. Die Geräusche waren mir gewohnt, und
  nebenan Sprach jemand laut, ein anderer sang
  eine kleine Melodie. Die Zwischentür zum ersten Raum war
  zugeschlagen. Ich ging wieder hin und öffnete sie
  weit, um nachzuschauen, Was ich dort verlassen hatte.  Urwald hatte sich tatsächlich bis
  hier ausgebreitet.    | Ich stand noch im Rahmen dieses
  Durchgangs Als die Frau, die mich versorgte,
  wieder eintrat. Die vier Männer, denen sie sich
  teilte, waren auch dabei. Sie gaben mir ein Zeichen, dass ich
  mich entscheiden sollte. Ich ging in den neuen Raum. Sie wollten nun den Durchgang wie mit
  Fensterläden schließen.  Das war mir zu grob und viel zu
  unwirklich. Das spürte wohl die Frau, die mich
  versorgte.  Sie sprach mit den Männern und nahm
  mich in freundschaftlicher Führung mit sich weit nach draußen
  bis hin zu den Blumengärten. Nirgends sah ich Wildwuchs oder
  Urwald. Erst am späten Abend kamen wir
  zurück. Die Männer hatten in der Zwischenzeit
  die Öffnung Sowie jede Spur zu einem andren Raum
  beseitigt, Und auch draußen konnte ich nichts
  finden. In dem neuen Zimmer schrieb ich alles
  auf,  Was mir seit diesem Morgen
  widerfahren war. Ich suchte nicht nach Fragen oder
  Antworten. Dem Brief gab ich die Nummer
  Vierzehn. Er lag tagelang in meinem Zimmer
  neben meinem Bett, Dann hatte man ihn abgeholt. | 
| Namenlos von meiner Insel, 15.
  Brief,  Ausgeliefert Das Urteil stand mir hoch als Wand
  vor Augen: Ohne Schuld war ich in einem fremden
  Ausland  Erst zum Tod durch Hängen abgeurteilt
  worden, Später, wegen einer Sprachverwirrung, Namenlos verbannt auf diese Insel. Hier war ich der Willkür Unbekannter
  ausgeliefert. In der Heimat hatte ich noch
  Schlimmeres erlebt: Man wollte mich dort nicht mehr
  haben, Weil man mich für schuldig hielt.   | Die Rückkehr war mir so vereitelt
  worden. Nirgends konnte ich Vertrauen fassen, Auch nicht zu der Frau, die mich
  versorgte. Lange dachte ich darüber nach.  Ich wusste nicht, ob sie und die vier
  Männer,  Denen sie sich teilte, einer
  Obrigkeit gehorchten.  | Diesem, meinem neuen Brief, gab ich
  die Nummer fünfzehn, Und ich wusste nicht, für wen, für
  was ich alles festhielt. Draußen mochte es noch jemand geben, Der viel Schlimmeres erlebte und
  erfuhr, Doch konnte mir das Trost sein und
  Vertrauen schenken? Worauf konnte ich noch hoffen? Gleich nach seiner Niederschrift war
  dieser Brief Verschwunden.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 16.
  Brief,  Im „Großen Haus“ Ich verließ das Haus  Und ging spazieren. Da fuhr neben mir ein Wagen auf. Der wurde von der Frau gelenkt, die
  mich versorgte, Und sie fragte, ob ich sie begleiten
  wollte. Sie war auf dem Weg zum „Großen
  Haus“.  Das kannte ich noch nicht. So stieg ich zu ihr ein. Sie sah ein wenig anders aus als
  sonst. Ich sah sie von der Seite an, mir
  fiel jedoch nichts weiter auf. Wir fuhren zu dem „Großen Haus“.  Es schien sehr herrschaftlich. Von weitem sah ich viel
  Geschäftigkeit. In nächster Nähe gingen dann zwei
  Frauen, Die der Frau, die mich versorgte, zum
  Verwechseln  Glichen.  Ich war irritiert,  Die Frau saß neben mir und war auch
  draußen. Eine von den beiden sah ein wenig
  jünger aus, Die andere schien älter.  | Meine Fahrerin blieb ungerührt. Wir traten ein.  Gleich hinter dem Empfang stand ich. Ich stand dort zweimal, Einmal so wie ich vor Jahren
  ausgesehen hatte  Und daneben ganz genau wie jetzt. Ich wollte mich verstecken. In dem ganzen Haus war reges Tun und
  auch viel Lässigkeit. Ich traf auf immer neue Doppelgänger. Keiner staunte, alle waren
  ungewöhnlich frei. Ich kannte mich bald nicht mehr aus. Die Frau, die mich versorgte und den
  Wagen Hergefahren hatte, konnte ich nicht
  mehr entdecken. Sie war in zu viele gleiche Frauen
  eingetaucht. Da wurde ich von einem meiner
  Doppelgänger angesprochen. Er sah mich sehr freundlich an. Er sprach jedoch nicht meine Sprache, Und ich lächelte verständnislos
  zurück. Ein wenig aber spürte ich Vertrauen, Und ich hatte Lust ihn zu berühren. | Viele Wochen lebte ich im „Großen
  Haus“.  Wir gaben uns an Kleidung, Essen,
  Überflüssigem  Und an Erforderlichem was wir
  brauchten.  Immer war jedoch schon alles angetan
  und  Stand bereit für mich, für alle meine
  Ichs Und für die Doppelgängerinnen von der
  Frau,  Die mich versorgte, und sie selbst
  darunter. Eines Tages redete von denen eine
  ganz vertraut mit mir,  Dass ich „der in Verbannung“ sei,  Sie führe wieder heim und wenn ich
  wollte.. Ich war gleich dabei und sagte: „Ja“,
   Doch trauen konnte ich ihr nicht. So fuhren wir zurück.  Zu Hause angekommen  Stand die Frau, die mich versorgte,
  uns im Weg, Und ohne Staunen öffnete sie mir die
  Wagentür. Sie fragte nur, ob ich im „Großen
  Haus“ gewesen sei Und sah gelangweilt auf die
  Doppelgängerin. Die grüßte sie und fuhr, als wäre
  nichts, davon. Mein neuer Brief erhielt die Nummer
  sechszehn, Und er wurde schon am andren Tag Von jemand wortlos abgeholt.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 17.
  Brief,  Doppelgänger Die Frau, die mich versorgte, War bei mir am späten Vormittag zu
  Gast und  Sprach von großem Glück, das uns
  beträfe. Ich verstand sie nicht. Sie wollte deshalb mit mir leise
  dieses Haus verlassen und zum „Großen Haus“, Wo unsre Doppelgänger lebten, fahren. Für Sekunden hatte ich mir anderes
  von ihr  Versprochen, und ich hätte sie so
  gern geliebt. Das spürte sie und gab mir zu
  verstehen, Dass sie etwas wüsste, was für sie
  und mich Und die vier Männer, denen sie sich
  teilte,  Wichtiger und von Bedeutung sei.  Sie sah mich dabei aber an, dass ich
  sie in die  Arme nehmen musste.  Für den Augenblick fing ich sie auf, Doch sie gab sich als Frau und wollte
  keinen Trost. Wir liebten uns das erste Mal. Das dauerte bis in die Dämmerung. Dann aber wollte sie mir zeigen, was
  sie wusste, Und wir fuhren los. Nicht weit vom „Großen Haus“ entfernt Versteckten wir uns hinter  einem Busch. Doch das war gar nicht nötig. | Ich erkannte Schreckliches. Es lagen alle Leiber unsrer
  Doppelgänger leblos Vor dem Haus. Sie waren noch zum Teil bekleidet,
  aufgestapelt und an vielen  Stellen ihre Körper aufgeschlitzt und
  schlimm Entstellt. Wir sahen Kinder unter ihnen, aber
  wagten uns nicht Nah an sie heran und nicht, sie zu
  berühren. Links vom „Großen Haus“ erkannte ich
  die Männer, Denen sich die Frau, die mich
  versorgte, teilte. Die vier Männer trugen Schutzanzüge,
  und es schien, Dass sie die toten Leiber sammelten,
  um sie zu Transportieren.  Einer von den Vieren schrieb an einer
  Liste. „Uns“, so sagte sie, „hat man
  verschont, weil wir die wahren Körper haben.  Unsre Doppelgänger waren scheinbar
  ein Versuch,  Sie hatten aber wahres Leben,  Denn sie hatten Kinder.  Das war mir seit langem schon
  bekannt.“ | Ich hielt bei dem Gedanken an die
  Kinder meinen Atem an, das Herz schlug mir im Hals. Ich fühlte mich als Vater und empfand
  doch keine  Trauer. Sie stand lange still und schlug dann
  vor  Zurück zu fahren: „Wir sind hier umsonst, wir können
  und wir konnten Gar nichts machen. Keiner von uns weiß, warum sie
  sterben mussten.“ Diesmal gingen wir zu ihr nach Hause, Und wir liebten uns ein zweites Mal
  in  Tränenreichem Wiedersehen, in
  Verzweiflung und in Abschied.  Tage später schrieb ich, Alles auf und gab dem Brief die Nummer siebzehn. Der lag lange unbeachtet hinter
  meinem Bett Bis ich ihn fast vergessen hatte. Eines Tages aber wollte ich das
  „Große Haus“ erneut besuchen, Doch es gab nichts mehr, kein Haus,
  kein Grab und keine Spur. Seitdem war auch mein Brief  Verschwunden, so wie all die anderen
  davor.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 18.
  Brief,  Ein weiteres Geheimnis Meine Liebe, die ich zu  Mir hatte, ging verloren, Ich empfand mein Lieben Nicht mehr liebenswert Und dass ich mit der Frau, Die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, Liebe hatte, war Mir ein Geschenk in aussichtsloser Lage. Sie war mir ein Himmel, den ich in der Kleinsten Wasserpfütze sah. Ich war am Rande des Betruges, Des Verrats an mir. Ich hasste mich und dankte allem Über mir zugleich, dass es dies wunderbare Wesen gab. Wir hatten kein Geheimnis  Voreinander und vor niemandem, Und doch war es für andere nicht nur, als Wäre nichts, es war viel weniger, es  Intressierte sich nicht einer für uns zwei, Und selbst die Frau, die mich versorgte, Die mir nun so nahe stand, war  Unpersönlich, höflich, Und sie fragte mich nach gar nichts aus.  Ich drängte sie, mir zu erzählen, Was sie fühlte, was sie dachte,  Und vor allen Dingen, wie sie hieß. Die Frage schien ihr fremd,  Als wüsste sie nicht, was ich meinte, Aber sie war aufgeregt Und wollte mir ein weiteres  Geheimnis zeigen.   | Also fuhren wir in eine  Gegend dieser Insel, wo sich Wellen Ohne Sturm an einer Küste brachen Und zu Wassersäulen türmten. Es war tosend laut. Sie schrie mir zu und flüsterte
  zugleich: „Darunter leben sie versteckt Und können rasend schnell nach Oben kommen. Niemand ist vor ihnen sicher, Sie bestimmen über alles!“ Ich war überrascht und  Konnte eine solche Technik nicht Verstehen. Doch vor meinen Augen brachen Gischt und Wassersäulen in ein Nichts Zusammen, und der Felsenboden senkte  Sich nach unten ab, dort sah ich  Glasverdeckte Häuser, die im
  Kunstlicht  Standen. Dann verschloss sich alles wieder, Und die Wassersäulen stiegen auf. Ein leichter Wind trug Wassernebel her zu uns. | Er schmeckte nicht nach Salz. Wir fuhren heim und saßen lange Auf dem Bett in meinem  Zimmer. Keiner von uns beiden Wusste etwas zu erklären. Keiner wagte das Gesehene zu Deuten. Wieder schrieb ich alles auf  Und gab dem Brief die Nummer
  achtzehn. Als die Frau, die mich versorgte, Spät am Abend ging, Nahm sie den Brief vom Tisch Und nahm ihn wortlos mit sich fort. Ich rief ihr meine Frage nach. Doch schien es mir als wäre plötzlich Eine jeden Laut verschluckende und
  unsichtbare Trennwand zwischen uns. Sie konnte mich nicht hören. | 
| Namenlos von meiner Insel, 19.
  Brief,  Eine junge Frau Die Frau, die mich versorgte und die
  sich Vier Männern teilte, kam, mich zu  Besuchen. In der Hand hielt sie die Okarina,
  die sie  Eigenwillig spielte, und sie fragte
  dann, Ob mir ihr Spielen recht sei. Ihre Melodie war leicht und sanft, Sie rührte mich in fremder Weise, War das Trippeln einer Frau in
  buntem, engem Rock Auf hölzernem und doch gedämmtem
  Boden. Diese Frau, von der ich keinen Namen
  wusste, Hatte ich geliebt und war doch nicht
  in  Leidenschaft zu ihr, Es war, als lägen unsre Zimmer auf
  dem selben Flur, Ganz nah, und doch so weit entfernt, Es schien, wir müssten uns von uns  Erlaubnis holen, um uns zu besuchen. Ihre Melodie klang aus. Sie wollte wissen, ob ich auch ein  Instrument zu spielen wüsste, Und ich hatte keine Antwort, denn mir
  war sie nicht Die Spielerin auf einem Instrument, Sie war viel mehr die Bringerin von Liebessehnsucht. Ihre Frage ließ ich liegen. Hier in meinem Zimmer war es eng, und Sie war nah an mir, Ich wagte aber nicht, sie zu
  berühren. Ja, ich spielte auch ein Instrument
  und  Sagte es ihr jetzt. Sie aber sprach von etwas anderem,  Und sagte, dass sie eine Frau an
  ihrer  Seite hätte, und die würde draußen
  warten. Diese Frau wär ein Beweis, ein
  schlimmer leider, Aber sie wär noch am Leben.   | Ich verstand kein Wort und wurde hart
  aus meiner Kleinen Harmonie gerissen. Ich ging vor die Tür nach draußen. Dort stand eine junge Frau mit einem
  leichten Seidentuch um ihren Kopf, das nur
  zwei grüne Augen Ausschau halten ließ. Sie sprach mich holperig in meiner
  Sprache an, Entschuldigte sich aber gleich dafür. Sie zeigte Anmut, und das Tuch  War Teil von einer feinen Schönheit.  Dann jedoch zog sie das Tuch wie
  einen  Schleier langsam vom Gesicht. Das war entstellt, gleichzeitig aber
  so verheilt, Als hätte sie ein viel zu festes,
  weißes Tuch um Ohren, Nase und den Mund gezogen. Ihr, so sagte mir die Frau, die mich
  versorgte, Hätte man die Lippen, Ohren, Nase
  einfach abgeschnitten Und sie ihrem Schicksal überlassen. Das tat mir unendlich leid.  Ich nahm sie ohne Worte und mit
  großer  Vorsicht in die Arme.  Sie jedoch war fest und unbeirrt und
  wies den Trost von sich. „Ich habe Schlimmeres erlebt als das, Was ich dir zeige“, sagte sie und  Zog den Schleier des Erbarmens Wieder über ihr Gesicht und ihren
  Kopf. | Es war schon spät am Abend, Und die Frau, die mich versorgte,  Ging mit ihr voran und mir an ihrer
  Hand, In meine Wohnung. „Keiner hat mehr Umgang mit der
  Frau“, Sprach sie wie zu sich selber, aber
  laut. Die Frau war still und setzte sich in
   Artigkeit auf einen Stuhl.  Die Frau, die mich versorgte, sagte
  noch im Gehen: „Diese Frau hat niemanden, sie bleibt Nur ein paar Tage.  Sie vertraut in allem ganz auf dich Und danach wirst du nie im Leben
  wieder Etwas von ihr hören.“ Da verstand ich meinen Auftrag Und bedachte alles sehr genau. Aus Mitleid wollte ich die Frau nicht
  haben, Dazu war sie auch zu stolz. Sie wollte sich jedoch in ihrer Not
  von einer andren Not durch mich befreien lassen. Nach fünf Tagen war sie früh am
  Morgen Wieder fort. Ich hatte sie sehr gern an meiner
  Seite. Alles schrieb ich wieder auf und gab
  dem Brief die Nummer neunzehn. Den nahm sie bei ihrem Auszug Heimlich, ohne mich zu fragen, mit. Die Frau, die mich versorgte,  Hatte einen langen Blick für mich. Der schien gemischt mit Neugier und
  mit Aufmerksamer Dankbarkeit.  | 
| Namenlos von meiner Insel, 20.
  Brief,  Moderne Technik In meiner hoffnungslosen Lage Tastete ich vorsichtig nach etwas
  Glück. Ich lebte namenlos verbannt in  Unbekannter Fremde auf der Insel, und
  in meiner  Heimat glaubte man dem Urteil über
  mich, zu dessen Grund mir niemand jemals etwas hatte  Sagen wollen. Meine Heimat nahm mich nicht mehr
  auf. Ich war ein Todeskandidat, Und nur durch eine Sprachverwirrung  Blieb das Todesurteil ausgesetzt. Man wandelte es um in lebenslängliche
  Verbannung  Und in Namenlosigkeit. Von da an war ich fremdbestimmt, Und es verfügten Unbekannte über mich In ungebremster Willkür, Und seit kurzer Zeit empfand ich Mut
  zur Gegenwehr und dachte weit zurück Und sehr weit in die Zukunft, denn
  die hätte  Ich vielleicht zusammen mit der Frau,
  die mich Versorgte und die sich vier Männern
  teilte, Finden können, doch sie blieb mir
  trotz Der körperlichen Nähe unvertraut. | Ich ging zu ihr und fragte sie nach
  technischen Verbindungen in meine Heimat.  Davon hatte sie erfahren und sie
  führte mich Sehr weit zu einem kleinen Haus. In dem fand ich moderne Technik,
  deren  Umgang und Benutzung sie mir zeigte. Es war nichts Verbotenes dabei. Wenn ich die Nummer oder Anschrift
  eines Adressaten wüsste, könnte ich hier
  alles  Nutzen, Der Empfänger müsste lediglich zur  Kostenübernahme Einverständnis geben. Darin sah ich kein Problem und rief
  aus alter Zeit die erste Nummer des Vertrauens
  auf. Als die Verbindung stand und ich auf
  einem Bildschirm die Person im Kreis von
  Freunden Sehen konnte, lehnte man dort jede
  Kostenübernahme Strikt und einfach ab.  Die Stimmen hörte ich sehr gut, und
  auch das Bild  War einwandfrei. Mich aber konnten sie nicht hören, Keiner wollte mit mir sprechen. Es war kein Betrug. | Die Suche nach ein wenig Glück Nahm eine sonderbare Wende. Unglück in der Fremde und in meiner Heimat hielten sich so
  gleichgewichtig In der Waage, dass mich
  Ausgeglichenheit,  Zufriedenheit und nie gekannte
  Glücksgefühle Überkamen. Eine reiche Stille breitete sich in
  mir aus  Und ließ mich schweben. So nahm ich die Frau, die mich
  versorgte, An die Hand, und auf dem Weg zurück War ich ein freier Mann. Ich fühlte in mir Sicherheit
  erwachsen Und es schien, dass ich nicht einem
  Menschen mehr Nur das Geringste schuldete. Zuhause schrieb ich alles wieder auf, Der Brief erhielt die Nummer zwanzig. Und noch während ich die Zeilen
  schrieb, Erstarkten meine Glücksgefühle, und
  es blieb Nicht nur Erinnerung an einen schönen Augenblick, es wuchs in mir Vertrauen
  in die Zukunft. Dieser Brief lag lange unbeachtet in
  dem Zimmer. Irgendwann verlor ich ihn aus meinen Augen.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 21.
  Brief,  Mit honigsüßen Worten Das Leben, das ich führte, nahm mich
  in Beschlag, und es schien alles gut.  Ich hatte mich daran gewöhnt und
  musste mich um Gar nichts kümmern, Und die Frau, die sich vier Männern
  teilte, Sorgte sich um mich mit größter
  Freundlichkeit  Und manchmal auch mit Liebesnähe,  Doch sie sprach kein Wort darüber.  Was sie dazu trieb blieb ein
  Geheimnis.  Wünsche, die ich hatte, nahm sie
  ernst Und half nach Kräften. Ungeachtet dessen, sah sie ganz
  gelassen zu Als mich erneut drei Männer holten Und gefesselt in ein Auto zerrten. Ich versuchte diesmal Widerstand, den
  gab ich aber sehr Schnell auf. Die Männer setzten sich im Fahrzeug
  Atemmasken auf, Und ich erwachte erst bei Dunkelheit
  in einem fremden Raum. Mir war ein wenig übel. Mit der Fessel an den Handgelenken
  tastete ich  Meinen Körper ab. Ich suchte nach Verletzungen, nach
  Narben, die vielleicht  Entnahmestellen wären oder nach
  Verbänden.  Dabei bohrte ich mir aus Versehen mit
  dem freien Fesselende In den Leib und fürchtete das
  Schlimmste. Aber ich fand nichts und unterdrückte
  meine Angst. Ich schlief danach sehr lange weiter,
  bis man mich in fremder  Sprache weckte und die Fessel von den Handgelenken schnitt. Man führte mich in einen Raum mit
  anderen und gab mir Trinken und zu Essen.  Über mir in allen Zimmerecken sah ich
  winzige Geräte, die mich Gleich beim Eintritt in den Raum
  erfassten, sich Geräuschlos und synchron mit mir
  bewegten. Nach dem Essen führte man mich in den
  ersten Raum zurück, Und ließ mich dann allein. | Ich sah nun, dass die Liege recht
  bequem, Fast komfortable war,  Es standen unerwartet viele schöne
  Möbel zum Benutzen. Eine Tür war angelehnt und führte in
  ein Bad mit Dusche Und den Dingen, die ich gern zur
  Körperpflege hatte. Oben, an der Zimmerdecke aber hingen  Wieder die Geräte, die mich stumm
  erfassten  Und verfolgten. Es war hell, und ich erkannte nicht Ob ich im Kunstlicht oder in der
  Sonne stand. Es lagen Kugelschreiber und Papier
  auf einem Tisch. Mit einem Regler ließ sich die
  Beleuchtung steuern. Tagelang und regelmäßig nahm sich
  jemand meiner an, Und führte mich zum Speiseraum und
  auch zu einem Pool, Doch keiner konnte mich verstehen. Eines Abends aber sprachen mich zwei
  unscheinbare und doch Auffällige, junge Frauen freundlich
  und in meiner Sprache an. Sie hatten beide schulterlanges Haar
  mit Locken, die Kastanienfarben schimmerten. Es waren Zwillinge, in allem zum
  Verwechseln gleich. Sie flöteten mit honigsüßen Worten, Und sie geizten nicht mit eleganten
  Künsten ihrer Augen und mit Handbewegungen in ihre
  Haare und mit Großen Gesten, die bis nah an meine
  Schultern reichten. Fast wie selbstverständlich kam es
  dann, dass sich die eine  Sanft entschloss, und mir im Beisein
  ihrer Nachbarin das  Angebot, sie zu begleiten,
  unterbreitete. Das war verlockend und mir mehr als
  recht. Die ganze Nacht verbrachte ich mit
  ihr. Am zweiten Abend ließ sich ihre
  Schwester mit mir ein. Ich konnte sie jedoch von ihrer  Zwillingsschwester überhaupt nicht
  unterscheiden.  Dann verbrachte ich die dritte Nacht
  mit beiden,  Weil sie es so wollten. Beide waren dabei sehr gesprächig.   | Ich erfuhr von ihnen, dass sie in den
  letzten Vorbereitungen zu einer Reise in den
  Orbit waren, Und hier machten sie nur kurz
  Station. Die Reise würde viel zu lange für ein
   Menschenleben dauern, deshalb wollten
  oder mussten sie im  Raum Familie gründen und durch sie
  den Flug  Zu Ende führen lassen.  Sie erzählten völlig unbeschwert,
  dass sie Geschlechtsneutral geboren worden
  wären Und dass dieser Umstand erst die
  Reise möglich machte. Weiter sagten sie, sie könnten  Sperma lebenslang in sich lebendig
  aufbewahren Und gezielt zu jeder Zeit ein Ei
  damit befruchten, Dass sie das Geschlecht bestimmen und
  sogar  Dem Nachwuchs ihre eignen Fähigkeiten
  und den  Samenvorrat mit vererben konnten. Ich als Namenloser hätte dabei nichts
  riskiert. Ich könnte nichts verlieren Und durch sie im Grunde nur gewinnen.
   Alles wäre denkbar ohne dass ich
  einen Nachteil haben würde. Von dem neuen Wissen wollten sie mir
  weiter nichts erzählen.  Ich sah mich nicht nur von beiden
  Schwestern schwer  Betrogen sondern auch von mir
  verraten, Denn ich hatte mich das Opfer meiner
  eignen  Eitelkeit und Lust und Dummheit
  werden lassen. Anderntags war keine Spur mehr von
  den Zwillingen zu finden. Wieder schrieb ich alles auf und gab
  dem Brief die Nummer einundzwanzig.  Dem galt lange kein Intresse  Bis ich ihn vergessen hatte und nicht
  wieder fand. Ich wohnte lange völlig unbehelligt
  weiter in dem Haus  Und hatte freie Zeit, die wollte ich
  für die Erkundung nutzen. | 
| Namenlos von meiner Insel, 22.
  Brief,  Unterwasserspiele Man hatte mich gefesselt und
  verschleppt. Es schien, dass mein Verschleppen
  eine Sache war, die ich nicht mit  Gefangenschaft verwechseln durfte, Denn die Fessel war mir bei der
  Ankunft abgenommen worden. Niemand zeigte Grenzen auf, Man zwang und drängte mich zu nichts. Der Raum, in dem ich mich befand, Und der zuerst für mich
  Gefängniszelle war, Der Speisesaal und auch der Pool Verloren langsam mit den vielen
  Wochen Aufenthalt, An Fremdheit.  Dass sich niemand zu erkennen gab,
  und Niemand meine Sprache sprach,  Ertrug ich schwer. Ich wusste nicht, wie ich mich
  orientieren sollte. Ich vermisste auch die Frau, die mich
  versorgte, Und die sich vier Männern teilte.  Ich vermisste meine Insel. Aus der Orientierungsnot jedoch wuchs
   Neugier für die Welt, die
  Niemandswelt,  In der ich mich befand.  Ich wollte wissen, welche Leute außer
  mir in diesem Haus Zuhause waren und begab mich auf
  Erkundung. Überall entdeckte ich, dass Menschen
  sich ganz  Nebensächlich grüßten oder
  ignorierten und zugleich Erlebnisleben führten, die ich so
  nicht kannte. Hohe lichterfüllte Räume reichten
  allseits bis in weite Fernen, Landschaft wandelte sich nahtlos um
  in Unterwasserlandschaft, Und ich sah sie tief im Raum
  verschwinden. Bäume allerdings und Sträucher gab es
  nur als Meerespflanzen, die sich ohne jeden
  Wellengang  Und ohne Strömung, ohne Wasser um sie
  her, in sanften Schwingungen bewegten. Zwischen ihnen schwebten, flogen Große, kleine Meerestiere, die in
  Schwärmen oder  Einzeln kamen und verschwanden.  | Jemand neben mir sah mein Erstaunen,
  und in meiner Sprache sagte er: „Was du hier
  siehst, ist alles wahr,  Du kannst es glauben. Nichts ist
  Illusion.“  Das war von jenen Männern einer, die
  mich oft begleiteten und  Sonst in meiner Sprache nichts
  verstehen wollten. Ich durchstreifte Raum um Raum, und
  sah in ihnen viele Männer, Frauen, Kinder wie sie
  miteinander spielten. Ihre Kleidung war mir fremd und immer
  eng anliegend. Auf sehr großen, supergroßen  Tischen und darüber lagen und
  bewegten sich mir  Völlig fremde Meerestiere frei von
  allem Wasser,  Aber so als wären sie in ihrem
  Element und doch gefangen. Eine Art Gehege ohne Zaun war offensichtlich
  diesen  Tieren vorbehalten, und mir schien,
  sie trügen nur zur  Unterhaltung der Besucher bei. Man achtete jedoch nicht viel auf
  sie.  Ganz hinten aber sah ich, dass sich
  Menschen drängten Und vor einem übergroßen Fenster
  standen,  Das war leicht gewölbt nach draußen. Hinter diesem Fenster sah ich
  Meeresgrund und Meer, und darin  Menschen, die noch eben neben mir
  gestanden waren, wie sie  Diese fremde Welt für sich eroberten
  und dort spazieren gingen. Sie betraten und verließen Meeresgrund
  und Meer durch eine Wand, Die schien wie Glas zu sein.  Sie gingen beim Betreten einfach auf
  die Fläche zu, und die  Umhüllte sie sofort und gab sie beim  Verlassen unbeschadet wieder frei. Ich sah sie dort im Meer in großen,
  durchsichtigen Blasen, die das Meer zu ihrem Schutz
  verdrängten,  Sah sie laufen, springen, gehen,  Sah die Blasen sich vereinen, wenn
  sie sich zu nahe kamen,  Und sich wieder voneinander trennen.   | In den Blasen war kein Auftrieb,
  sondern nur die Hüllen weiteten sich oben sehr und
  wurden  Bodennah auf angelegten Wegen Festgehalten oder fest geführt. Die Wege, die man zu beschreiten
  hatte, waren Ausgeleuchtet, Meerestiere, deren Wege sich mit
  diesen Blasen kreuzten, wurden von mir
  unbekannten  Kräften leicht und sicher abgelenkt. Es waren Unterwasserspiele in sehr
  großer Tiefe,  Viele Menschen nahmen daran teil.  Dabei entstanden blitzschnell kaum
  noch wahrnehmbare neue  Formen, schillerten und flackerten in
  größter Nähe  Farben auf, die wieder Farbenschatten
  warfen. Alles folgte einem Rhythmus leiser
  Melodien, vielleicht aus Walgesang, Gespielt auf unsichtbaren und mir
  nicht bekannten  Instrumenten. Weit davon entfernt, in einem anderen
  Bereich der  Unterwasserstadt, entdeckte ich die
  Vorbereitung einer übergroßen Feier. Schriften, die ich lesen konnte,
  kündeten vom  „Tag des wahren Lebens.“ Dann, so hieß es, wollte man die
  Ankunft einer echten Rose, die  Zwei Tage nicht verwelkte, feiern.  Allen sollte sie ein Zeichen sein.  Ich atmete, wohl nur in Sehnsucht und
  Erinnerung, Den warmen, süßen Duft. Als ich zurück in meine Räume kam,
  erwartete man mich Und sagte, dass ich heim auf meine
  Insel sollte. Es blieb wenig Zeit. Ich schrieb in Eile alles auf und gab
  dem Brief die Nummer Zweiundzwanzig.  Der war aber nicht zu retten und
  blieb achtlos liegen. Später, nach der Heimkehr, fand ich
  einzig noch die Fessel meiner Hände, ein Stück
  Nylonband, Das durchgetrennt in meiner Tasche
  lag. | 
| Namenlos von meiner Insel, 23.
  Brief,  Kannst du singen? Heim auf meiner Insel  Dachte ich nicht mehr an Widerstand, Ich fand mich ab mit dem, was mir
  geblieben war, Und glaubte auch, dass Frieden mir am
  meisten Dienen konnte. Gleich nach meiner Rückkunft, Hatte ich die Frau, die mich versorgte, Und die sich vier Männern teilte, Zu Besuch. Wir liebten uns, Doch hatte ich zu wenig Leidenschaft
  und liebte sie wie eine Viel zu gute Freundin. In mir mahnte Vorsicht zu Verhüten,
  und Ich wusste nur von einer Weise: Ganz zum Schluss ließ ich es  Nicht in ihren Körper dringen. Das bemerkte sie  Und wies mich sanft zurück: „Die Männer, denen ich mich teile, Brauchst du nicht zu fürchten. Das beweis ich dir“, und rief nach
  ihnen. Wenig später waren sie in unsrem
  Zimmer. Mit nur einem Blick von ihr verwandelte
  sie alle vier zu  Marionetten, die den Kopf, die Arme Kraftlos hängen ließen. Dann, als fielen sie aus Seilen, Klappten sie in sich zusammen. Ich verstand das nicht und lief aus
  meiner Wohnung. Um vielleicht herauszufinden, was um
  mich herum geschah, Floh ich ins Freie, doch Erklärung
  fand ich nicht.  Als ich zurückkam, saß die Frau, die
  mich versorgte, Immer noch auf meinem Bett. Sonst waren wir allein. | Wir schwiegen lange, bis sie eine  Frage stellte: „Kannst du singen? Ja, man möchte wissen, ob du singen
  kannst“. Ich wollte wissen, wer das fragte, Aber sie beschwor mich,  Dass ich alles sehen und erfahren
  würde, Wenn ich mit ihr käme. Auf der Straße stand ein Fahrzeug,  In ihm saß ein fremder Fahrer, der
  schon nach uns Ausschau hielt. Wir fuhren lange, bis zum
  Sonnenuntergang, Und machten Halt vor einem steinernen Gebäude, einer leeren Schule oder
  einem alten Krankenhaus.  Das hatte nur noch rahmenlose
  Fensterhöhlen,  Türen waren kaum vorhanden,  In den Angeln hingen Reste. Draußen lauerten zwei Zivilisten, Die uns bis ins Innere des Hauses
  führten. So gelangten wir in einen hohen Raum, Der spärlich ausgeleuchtet war.  Trotzdem erkannte ich darin sehr
  viele  Männer mit und ohne Uniformen, Die auf Stühlen saßen, sich an Wände
  lehnten Und auf Tische stützten. Alle schauten auf bei meinem
  Eintritt,  So als hätten sie darauf gewartet. In der Halle sah ich  Köpfe, drei, vier, fünf, sechs, auf
  dem Boden liegen, ohne  Rumpf und blutverkrustet. Jeder sah wohl, dass mir übel wurde, Und man überließ mich kurzer  Augenblicke der Besinnung.   Neben mir bewegte sich ein junger
  Mann.  Der hielt ein Notenblatt in seiner
  Hand,  Das übergab er mir.  Ich konnte eine Männerschola, Die in mittelalterlichem Text
  geschrieben war, Mit ihren Noten, gut erkennen.  Alles war verfasst und festgehalten
  in vier Zeilen.   | Niemand hier war also in der Lage Abzusingen, und ich horchte tief nach
  innen, Ein vielleicht verschüttetes Talent
  in mir zu finden.   Dann trat plötzlich Ruhe ein. Ich konzentrierte mich nur noch auf
  meine Sache Und begann wie einstudiert zu singen, Ich trug jede Silbe, jedes Wort und
  jeden Ton  Von Anfang an so deutlich, laut und
  kräftig wie ich konnte, vor Und machte schließlich eine Pause,
  weil das Stück zu Ende war. Ich wollte neu beginnen. Doch bevor es dazu kam  Erklang das Lied als Echo von den
  vielen Männern. Sie erhoben es zu lautem, donnerndem
  Gesang, Das ich erschrak. Man brachte mich hinaus. Ich wurde hier nicht mehr gebraucht. Zusammen mit der Frau, die mich
  versorgte, Wurde ich zurückgefahren. Als wir ganz alleine waren,  Wollte ich ihr Fragen stellen, doch
  sie legte Sich ganz kurz den Zeigefinger auf
  den Mund, Hob meine Hand und küsste sie.  Das war mir fremd und nicht von mir
  gewollt. Sie hatte keine Tränen in den Augen Sondern einen sternenklaren Blick. Den hielt sie Wimpernschläge lang Auf mich gerichtet. Später schrieb ich alles auf und gab
  dem Brief die Nummer Dreiundzwanzig. Doch ich wusste nicht, wohin damit und
  überließ ihn Einem Windstoß, der ihn mit sich  Nahm.  | 
| Namenlos von meiner Insel, 24.
  Brief,  Ein Spion Auf der Insel ging ich viel spazieren
  ohne Je ein grenzenloses Meer zu sehen. Wasser gab es immer wieder, doch ich
  sah nur auf die Fernen Ufer andrer Inseln. Als es einmal spät geworden war, und
  ich mich in dem Himmelblauen, dann azur- und
  königsblauen Dach  Weit über mir verlor und Träumen
  nachhing, Schaute ich direkt in einen
  Lichtstrahl, Der war viel zu hell für einen
  Tagesstern, Zu grell für irgendeine Flugmaschine
  und als Zufall  Äußerst unwahrscheinlich, Denn er kam und schwand, pulsierte
  ohne jeden Rhythmus, Und er rückte nicht von seiner
  Stelle. Formen waren keine zu erkennen, Und nach wenigen Sekunden war es
  schon vorbei. Zuhause sprach ich mit der Frau, die
  mich versorgte Und die sich vier Männern teilte,
  über das Gesehene. Sie wusste gleich Bescheid und warnte
  fast, als sie mir  Sagte: „..weder Fluggerät noch Stern, das
  ist ein Lichtschirm. Der fängt Sonnenwind, so heißt es. Nur wenn Sonneneruptionen Sturm
  erzeugen, Schaltet er sich ab und wird dann
  sichtbar.  Wer ihn sieht, wird auch von ihm
  gesehen. Wer ihn sieht ist ein Spion und wird
  gefoltert. Dieser Strafe kann kein Mensch
  entgehen.“ „Was heißt Strafe“, fragte ich. | Sie sah mich wissend an und sagte
  dann: „Sie lassen dich nie mehr aus ihren
  Augen. Überall und jederzeit spürst du, wie
  sie dich Überwachen. Tag und Nacht und beim Intimsten  Schauen sie dir zu. Du gehst daran zugrunde.  Das Gefühl, dass man dir zuschaut,
  wird zur Folter.“ Dabei dachte ich mir gar nichts
  Schlimmes  Und ging heim, mich umzuziehen, denn
  ich war Verschwitzt. Nur kurze Zeit danach verspürte ich
  die größte  Übelkeit, ich musste mich erbrechen, Und mein Puls ging rasend schnell,
  dass ich die Frau, die mich versorgte, rufen
  musste, mir zu helfen. Doch sie wusste keinen Rat und
  brachte mich ins Bett. Es wurde aber immer schlimmer und ich
  fasste mit dem  Letzten Willen den Entschluss, mich
  aller  Kleidung, aller Wäsche zu Entledigen, und was mich körperlich
  berühren konnte,  Vor die Tür zu werfen und dort zu
  verbrennen.  Sie aber hielt mich fest zurück: „Nicht so!“, Denn sie verstand sehr schnell und
  schickte die vier Männer, denen sie sich teilte, los mit
  einem ganz geheimen Auftrag. Als die wiederkamen, trugen sie ein
  totes Schwein in einem Sarg, der war noch offen.   | Dort hinein verstopften sie die
  Gegenstände, meine Kleidung, Bettzeug, und was ich zur
  Körperpflege nutzte. Sie verschlossen dann den Kasten Und begaben sich mit mir im Schlepp, Ganz eng und nackt an sie geduckt,
  zum Ufer, wo ich jenes  Licht zuvor gesehen hatte. Tief in eine Grube, die sie
  schaufelten   Und die sich schnell mit Wasser
  füllte, Legten sie den Sarg und mich für
  kurze Zeit,  So wie ich war, darauf. Dann wurde ich mit Tüchern überdeckt,
  zurückgezogen Und vom Sarg getrennt. Es wurde alles wieder eingeebnet, und
  sie stellten noch ein Schild darauf:  „Ein Namenloser“. Darauf gingen wir nach Hause, Doch die Frau, die mich versorgte,  Musste mich noch stützen. Die vier Männer aber waren fort als
  hätte Nebel sie verschluckt. Ich spürte, wie sich mein
  Gesundheitszustand  Besserte. Von nun an schaute ich nur noch mit
  Augenschutz zum Himmel. Wieder schrieb ich alles auf, Und gab dem Brief die Nummer
  vierundzwanzig. Diesen legte ich ganz offensichtlich
  auf den Sand, sehr nah am Sarg, Und legte einen Stein darauf. Ich weiß nicht, was daraus geworden
  ist. | 
| Namenlos von meiner Insel, 25.
  Brief,  BioCurious Einmal wollte ich die  Frau, die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, ganz für mich. Ich spürte Leidenschaft und konnte
  mir noch Immer nicht erklären, dass ich ihren Namen nicht erfuhr. Mich hatte man zu lebenslänglicher  Verbannung und zu Namenlosigkeit
  verurteilt  Und auf eine dieser kleinen Inseln
  tief im Süden abgeschoben. Ich war schuldlos und sehr oft durch
  Akte schriller  Willkür zu bedenkenlosem Tun
  gezwungen worden, Oft erfuhr ich Hilfe von der Frau. Doch stets, wenn es mir schien, dass
  ich vertrauter mit ihr wurde, Wurde sie in Wahrheit fremder,
  unnahbarer, Trotz der körperlichen Zuwendung und
  Nähe, die wir hatten. Ich besuchte sie und lud sie ein zu
  einer  Fahrt entlang der Küstenstraße, wo
  ich eine Reihe kleiner Häuser mit Garagen, die
  oft größer als die Häuser waren, wusste, und an einigen,
  so hatte ich gelesen, Warb man laut mit „BioCurious“, was
  immer das auch war. Sie kam mit mir und lächelte mich
  wissend, glücklich an: „Ich freue mich.  Ich wusste nicht, dass du dich dafür
  intressierst.“ Das irritierte mich, ich wusste nicht
  wovon sie sprach. Wir fuhren, und ich malte mir viel  Zweisamkeit, Beisammensein und Enge
  mit ihr aus. Sie lehnte ihren Kopf und ihre
  braunen  Haare ganz vertraut an meine
  Schulter, Und ich sah im Spiegel ihre weichen
  Locken.  Dann erreichten wir die Häuserreihe.  Hier warb man mit viel zu großen
  Schriften an fast allen  Häusern und Garagen für das Gleiche: „BioCurious“. Wir hielten und entschieden uns zu
  einem Eintritt. Drinnen bot man uns als
  selbstverständliches Willkommen  Zucker an, in Tüten und in
  aufgelöster Form. | Die Frau an meiner Seite, nahm sofort
  von dem Getränk und trank es gierig aus.  Ich ließ mir eine Tüte geben, die ich
  in die Jackentasche steckte.  Dann begleitete man uns an einen
  Eingang.  Wir betraten die Garage, Wagen
  standen nicht darin. Gleich hinter dieser Eingangstür  Begrüßte uns die Frau die mich
  versorgte. Ich stand hinter ihr. Wir lächelten einander an und ließen
  uns vorbei. Die Frau, die mich von Anfang an
  begleitet hatte, Übernahm die Führung: „Wir sind biologische Maschinen und
  seit neuestem  Veränderbar“. Sie hob dabei voll Stolz den
  Zeigefinger über sich.  Ich sah dann Leute, jeden Alters, die
  sich emsig an  Mechanischen Maschinen, Mikroskopen
  und sehr vielen Menschengroßen Gläsern mühten.  Es war alles hell erleuchtet.  „Hier“, so sagte sie noch weiter,
  „kann ich dir verraten, Dass wir alle über Notausschalter
  jederzeit erreichbar sind, Das macht uns unabhängig, und wir
  bleiben den Gesetzen unterworfen.  Wir sind wie normale Bürger.“ Sie ließ mit zufriedenem
  Gesichtsausdruck Die Augen auf mir liegen Und zog mich mit sanfter Hand zu
  einem Ausgang, der in einen Wohnbereich entführte. „Nun sind wir allein und ungestört. Du wolltest doch mit mir alleine
  sein“. Erst jetzt sah ich mich in der
  Liebesfalle, die ich selbst gestellt, Gefangen.  Trotzdem blieb ich noch bei ihr und
  ließ sie machen. Als ich dann an ihrer Hüfte kein
  Tatoo entdeckte, War ich meiner Sache sicher, Und ich fragte, „Wer darf deinen
  Schalter wie bedienen,“ | Daraufhin verlachte sie mich laut: „Natürlich keine biologischen
  Maschinen so wie ich. Das können nur die Echten mit dem
  bloßen Denken“. Da entschloss ich mich sie
  abzuschalten, Und sie fiel als Kartenhaus in sich
  zusammen. Auf dem Weg nach draußen ging ich an
  der  Frau, die mich versorgte und an mir
  vorbei. Doch niemand hielt mich auf. Die Rückfahrt unterbrach ich einmal
  um mich umzuschauen, Aber weit und breit war ich allein. Zuhause ging ich zu der Frau, die
  mich versorgte. Sie war auch allein und wusste nichts
  von meinem Ausflug. Sie kam auf mich zu und hatte
  ebenfalls den langen Blick auf mich gerichtet. Sie war etwas aufgeregt, weil ich, so
  schien es ihr, Vielleicht um ihretwillen
  Leidenschaft empfände. Ja, das gab ich zu und nicht, dass
  ich nur einen  Blick auf das Tatoo erhaschen wollte. Es war da. Doch Leidenschaft empfand ich nicht.  Zurück in meiner Wohnung schrieb ich
  alles auf. Ich war bedrückt und hatte keinen Halt
  gefunden. Hätte ich mich doch mit allem endlich
   Abgefunden, um ein wenig Glücksgefühl
  zu haben. Diesem Brief gab ich die Nummer  Fünfundzwanzig und ließ ihn im Zimmer
  liegen. Spät, schon in der Nacht, erhielt ich
  dann Besuch. Ich machte keine Lampe an. Es war die Frau, die mich versorgte,
  und sie legte sich Zu mir. Ich dachte nicht an Leidenschaft und
  war doch voll Davon, ich wollte nichts mehr
  kontrollieren. Nächsten Morgen ging die Frau nach
  unsrem Frühstück heim. Von meinem Brief war keine Spur mehr
  aufzufinden.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 26.
  Brief,  Zwillingswesen Die Frau, die mich versorgte und die
  sich Vier Männern teilte, hatte mich zu
  sich geladen. Draußen schien die Sonne. Sie schlug vor, in ein Cafe zu
  fahren. Das war schnell zu finden und Wir fuhren los. Das Haus mit dem Cafe lag völlig
  ruhig In der Seitenstraße und war
  menschenleer. Das überraschte mich, weil auch  Bedienung fehlte.  Das jedoch beflügelte die Frau an
  meiner Seite,  Denn sie kannte sich in allem aus.  Sie setzte sich zu mir an einen Kleinen Tisch.  Obwohl sie Platz genommen hatte und
  dort saß,  Stand sie aus ihrem Sitzen auf und
  ging zur Küche:  „Ich mach uns ein wenig Tee.“  Die neben mir blieb weiter sitzen und
  sah hoch,  Sich selber hinterher.  Sie blickte mich danach aus ihren
  Augenwinkeln  Und ein wenig von der Seite an. Wie sie zu mir, so schaute ich zu ihr
  und ihr  Dann nach. Das schien sie hier bei mir im Sitzen
   Und zugleich auf ihrem Weg zur Küche
  nicht zu stören, Und ich schwieg dazu. Sie kam zurück und goss in meine  Und in ihre Tasse Tee. Sie fragte, ob ich Zucker wollte.  Die im Sitzen stimmte sich mit einem Nicken zu. | Der Tee war gut und schmeckte mir
  nach  Datteln, Feigen und nach Äpfeln. Die den Tee gemacht und eingegossen
  hatte, Setzte sich zurück zu sich in sich, Sie wurde wieder eins. Ich holte eine Schachtel, die lag
  unweit auf dem Nebentisch. Darin befanden sich zwei Spiele für
  Erwachsene. Wir spielten Brett, doch ich verlor, Ich konnte mich nicht konzentrieren. Neben mir, die Frau, sah auf das
  Brett vor sich Und hatte ihre Augen auch auf mich
  gerichtet, Zwei Gesichter, die ein Ganzes
  bildeten. Dass diese Frau sich scheinbar teilen
  konnte, Störte mich nicht mehr, In allem blieb sie mir vertraut. Sie stand noch oftmals auf und wurde
  zweifach, Las in einem Buch auf ihrem Schoß Und sah zu mir und sprach mit mir. Sie fand sich selber immer wieder. Plötzlich sagte sie wie nebenbei: „Ich scheine nur getrennt und  Scheine nur vereint.  In Wahrheit bin ich eines dieser
  Zwillingswesen,  Die sich nicht genau zusammenfügen
  und nicht  Deutlich unterscheiden lassen, Meine Trennung und Vereinigung  Sind das Bedeutsamste daran“. Sie suchte ihren eignen Blick und
  stimmte sich Zufrieden zu.   | Ich wollte diese Irrfahrt lautlos  Enden lassen und entschuldigte mich
  für den Augenblick. Ich ging dann ohne Abschied fort und
  fuhr allein Zurück. Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr
  aus und lief  Bei meiner Ankunft gleich zur Wohnung
  meiner  Nachbarin, der Frau, die mich
  versorgte. Die begrüßte mich und fragte: „Können wir zu Ende spielen?“ Auf dem Tisch erkannte ich das Brett. Sie sagte dann: „Du bist nicht konzentriert, du wirst
  verlieren.“ Sie war so wie immer, ging in ihre
  Küche, Um uns einen Tee zu machen. Dann kam sie zurück und goss in meine
   Tasse und in ihre davon ein.  Sie fragte, ob ich Zucker wollte. Dieser Tee war mir Erinnerung. Er schmeckte gut, nach  Datteln, Feigen und nach Äpfeln. Später las sie noch in einem Buch, Das lag auf ihrem Schoß. Ich konnte mich entspannen Und verbrachte diese Nacht mit ihr
  bei ihr. Zuhause schrieb ich alles wieder auf  Und gab dem Brief die Nummer
  sechsundzwanzig. Anderntags lag eine abgestempelte  Kopie auf meinem Tisch. Der eigentliche Brief war fort. | 
| Namenlos von meiner Insel, 27.
  Brief,  Der
  Besuch des Gartens Der Besuch des Gartens hinter meinem
  Haus War streng verboten. Auch die Frau, die mich versorgte und
  die sich Vier Männern teilte, Hatte mich gemahnt. An diesem Tag sah ich vor meinem
  Fenster fremde  Vogeltiere, deren Körper auf zwei  Muskulösen Beinen standen,  Die, mit einem langen Hals versehen,
  in mein  Zimmer hätten schauen können. Ihre Schnäbel waren übergroß an sehr,
  sehr kleinen Köpfen. Ihr Gefieder schillerte und irisierte
  prächtig von Karminrot über Kobaltblau bis zu
  Türkis. Sie schienen mir aus einem Märchen, So vertraut, dass ich mich für den
  Augenblick  Als Reiter auf dem Rücken eines
  dieser Tiere sah. Voll Neugier öffnete ich beide
  Fensterflügel, Und sie stießen gleich die Köpfe mit
  dem langen  Hals nach drinnen in den Raum. Es waren drei. Sie schnappten plötzlich gierig nach
  den  Gegenständen in dem Zimmer, rissen
  mir in  Windeseile große Stücke aus der
  Kleidung. Dabei sah ich in den aufgesperrten
  Schnäbeln Doppelreihen spitzer Zähne, Die nach vorne und nach hinten
  standen. Selber machten diese Tiere kein
  Geräusch. Dann sprang von ihnen eines ganz
  herein, Und stürmte auf mich zu, vielleicht
  um mich zu Töten. | Dabei riss das Tier das ganze Fenster
  aus dem Rahmen Und verklemmte sich darin. Ich lief ins Nebenzimmer und entkam
  von dort  Durch dessen Fenster in den Garten, Rannte fort so schnell, so weit ich
  konnte. Aus den Augenwinkeln sah ich aber,
  dass jetzt alle drei in meiner Wohnung waren. Sie zerbissen und verwüsteten, was
  sie mit ihren Schnäbeln und den Krallen packen
  konnten. Dann entdeckten sie mich auf der
  Flucht. Ich hörte ihre schnellen Schritte als
  ein Stampfen hinter mir. Es war kein Baum in meiner Nähe, Und ich wusste nicht, ob ich
  hinaufgekommen wäre. Ich besann mich auf die Küste, Die war ziemlich nah, und lief direkt
  ins Meer. Die Vogeltiere stoppten ihren Lauf am
   Ufer und verfolgten mich mit ihren Augen und dem Schwenken ihrer Köpfe. In nicht allzu großer Tiefe blieb ich
   Bis zum Hals im Wasser stehen. So sah ich zu ihnen bis es dunkel
  wurde. Sie verließen ihre Plätze nicht. An einem Jucken auf der  Schulter und dem Rücken spürte ich
  jedoch, Dass sich mein Körper langsam aus dem
   Wasser schob. Jetzt kamen auch die Vogeltiere
  näher. Ich saß fest auf einer Sandbank, Und das Wasser ging zurück. In ein paar Stunden war ich ihnen
  sicher Ausgeliefert. Gegen Morgen aber war das Wasser
  wieder angestiegen, Und sie zogen mit der ersten
  Helligkeit davon.   | Die Angst, die Kälte und das Wasser
  hatten mich so sehr Geschwächt, dass ich noch  Stunden wartete und mich erst dann
  zur  Küste schleppte und zurück nach Haus. Dort fand ich meine Wohnung völlig Unversehrt. Kein Fenster war zerbrochen, und die Tür zum Nebenraum war angelehnt. Ich ging gleich zu der Frau, die mich
  versorgte, Um ihr alles zu erzählen. Meine Kleidung hing in Fetzen und ich
   War durchnässt bis auf die Haut. Das schien sie nicht zu sehen, Denn sie sprach zu mir als wäre
  nichts mit mir: „Die Männer, denen ich mich teile, Sind dort draußen, um den
  hochfrequenten Schutzzaun gegen Bios und die großen
  Tiere Wieder einzurichten. Der war ausgefallen.  Der ist nur zu unsrem Schutz und  Kann uns selbst nicht schaden“. Dann ging ich zurück in meine
  Wohnung. Heim in meinem Zimmer Schrieb ich schließlich alles auf und
  gab dem Brief die Nummer siebenundzwanzig. Der blieb schon am nächsten Tag
  verschollen. Niemals sah ich solche Tiere auf der  Insel oder gar in meinem Garten
  wieder, Und ich würde auch kein zweites Mal
  versuchen  Die Erlebnisse der Frau, die mich
  versorgte, Mitzuteilen. | 
| Namenlos von meiner Insel, 28.
  Brief,           Morgen
  bin ich keine Zeit für dich An einem Abend
  hatte ich Besuch von meiner Nachbarin,
  der Frau, die mich versorgte Und die
  sich vier Männern teilte. Sie war
  mir sehr zugetan und weckte, wie so oft, In mir die
  Sehnsucht nach Umarmung und nach  Liebe und
  nach ihrer Weiblichkeit. Es wurde
  spät. Beim
  Abschied nehmen sagte sie noch: „Morgen
  bin ich keine Zeit für dich.“ Ich sagte:
   „…hast du
  keine Zeit für mich. Das ist
  doch nicht so schlimm.“ Sie aber:  „Nein,
  dann bin ich keine Zeit für dich.“ „Du willst
  verreisen?“ Ich war
  neugierig geworden. „Du verstehst
  das nicht. Doch, wenn
  du willst, besuch mich morgen einfach, Dann will
  ich es dir erklären.“ Damit war
  sie fort. Am andren
  Nachmittag ging ich zu ihr. Sie saß
  entspannt auf ihrem Bett und  Bat mich
  ganz in ihre Nähe, fest an ihren Arm und ihre
  Schulter. Sie
  erzählte: „Stell dir
  vor, dass du den Wurm, der in die Erde
  kriecht, aus allernächster Nähe siehst Und jede
  der Bewegungen. Du merkst
  dir Einzelheiten, Kleinigkeiten, Auch ein
  Sandkorn, dass von ihm verschoben wird. Solange du
  ihn wahrnimmst, ist er Teil von
  deiner Zeit, Er ist
  dann Zeit für dich. | Nun stell
  dir vor, dass du an ihm Vorübereilst. Du weißt
  von seinem Tun und kannst doch nichts  Erkennen. Nur in
  diesen kleinen Augenblicken des Erinnerns ist er  Zeit für
  dich, das ist fast nichts. Du siehst
  nicht mehr wie er sich krümmt Und sich
  bewegt. Nun aber
  stell dir schließlich vor, dass du an ihm in einem Jet
  vorüberfliegst. Da wird
  das Denken an den Wurm Und was er
  machen könnte, unwirklich, Der Wurm
  ist nicht mehr Zeit für dich. Ich werde
  mich jetzt viel, viel größeren Geschwindigkeiten
  anvertrauen und Sehr
  großen Räumen wie dem Orbit oder  Übergroßen
  Zwischenräumen. Dann blick
  ich zurück auf meinen  Wurm und
  was ich sonst noch kannte. Flüchtigstes
  Erinnern ist vielleicht was bleibt. Versuch es
  auch. Beginn
  ganz einfach mit dem  Wurm aus
  nächster Nähe. Lehn dich
  fest an mich.“ Nach einer
  kleinen Pause sagte sie: „Ich
  fürchte, du wirst frieren, zieh dich wärmer an.“ Ich
  machte, was sie sagte. Schon nach
  kurzer Zeit befand ich mich in einem Hyperraum,
  der war gebogen, nah und fern zugleich, Und nichts
  bewegte sich in ihm.  Ich hörte
  auf die Stille, Alles
  schien wie zeitlos festgehalten.   | Ich befand
  mich tief in einem Meer, zugleich darüber. Fische, Pflanzen
  standen neben mir, verharrten. Wellenkämme
  brachen nicht und  Gischt
  blieb in der Luft. Dann sah
  ich Schiffe, die auf Wellenbergen  In
  Bewegungslosigkeit verblieben. Meine
  eigne Zeit schien angehalten. So kam ich
  zurück und wusste nicht Durch welchen
  Umstand oder Einfluss  Ich die
  Reise hatte machen können. Dieser
  grenzenlose Freiraum,  Nur aus
  Stillstand und Ereignislosigkeit bestehend, Wäre mir
  zuvor in meinem Leben niemals Vorstellbar
  gewesen. Es war
  weit nach Mitternacht.  Mir schien
  der Ausflug nur Sekunden lang, Doch hatte
  er vom Nachmittag bis jetzt gedauert.  Wie zu
  Anfang saßen wir noch immer Eng an eng
  auf ihrem Bett Und
  fröstelten. Sie
  unterbrach die Stille mit nur einem Satz: „Ich bin
  jetzt wieder Zeit für dich.“ Ich wusste
  nicht mehr viel zu sagen, Fragen
  wollte oder konnte ich nicht stellen, Und ging
  langsam heim. Dort
  schrieb ich alles auf. Dem Brief
  gab ich die Nummer  Achtundzwanzig. Der lag
  wochenlang auf meinem Tisch, Dann war
  er eines Tages fort Wie all
  die anderen zuvor. | 
| Namenlos von meiner Insel, 29.
  Brief,           Schreib
  mich gut Ich war
  sehr viel allein auf meiner Insel Und die
  Frau, die mich versorgte, Und die
  sich vier Männern teilte, War schon
  wochenlang nicht anzutreffen, War
  verschwunden ohne jeden Abschied. Eines
  Tages, in den ersten Wochen, fuhr ein Fahrzeug vor, Dem eine
  junge Frau entstieg. Die eilte
  kurz ins Nachbarhaus, Dann aber
  schnell zu mir. Ich dachte
  meine Nachbarin wär wieder heim, Und nahm
  sie, wegen ihrer Rückkehr sehr erleichtert,  Zur Begrüßung
  in die Arme. Den
  Begrüßungskuss ließ sie ganz ohne  Abwehr
  gerne zu, Sie klärte
  mich dann aber auf, sie sei nicht jene  Frau, die
  mich bisher versorgte, Sondern
  sei die Neue. Sie schien
  deren Zwillingsschwester, Ihr in
  Stimme und in Sprache, in Gesicht und Körperbau, Frisur der
  Haare und den Gesten völlig gleich. Sie wollte
  mich wie jene andere, Ganz ohne
  Unterschied in allem, wie es vorher war,  Versorgen, Und sie
  bat mich um mein Einverständnis. Als ich
  fragte, ob sie jemand schickte, Antwortete
  sie offen „Nein“, auch über den Verbleib der Frau, Die mich
  bisher versorgte, ließ sie keinen Argwohn zu. Sie bot
  mir ihr Vertrauen unaufdringlich an Und
  stellte sich mir vor: „Ich heiße
  Siolon, das ist ein andres Wort für Glück“. Ich
  spürte, dass sie ehrlich war und wunderte mich nicht. Sie
  wusste, dass ich keinen Namen führen durfte, Und sie
  wusste ebenso von der Verbannung. | Sie war
  ein Geschenk von unbekannter Seite, Denn schon
  nach nur einem Tag Verbrachten
  wir den Abend und auch bald die Nächte in
  Gemeinsamkeit. Dabei
  entdeckte sie mein  Schwarzes
  Pflaster zur Verhütung und zum Schutz  Und
  lächelte dezent: „Das
  brauchst du wirklich nicht bei mir, Du kannst
  mir glauben,“ Und
  entfernte es mit zarter Hand. Sie roch
  sehr fein nach Moschus mit  Jasmin im
  Nachgeschmack. Von da an
  liebte ich sie aufrichtig und mehr  Als jene
  andere und jede andere zuvor, Denn meine
  alten Zweifel und die Frage Ob und wie
  weit ich Vertrauen schenken oder fassen konnte, Waren wie
  verflogen. Große
  sehnsuchtsvolle Liebe flammte in mir auf. In ihren
  Augen sah ich Herzchen, Und ihr
  Lachen war ein süßes Windspiel
  aufgehängter Glöckchen. Ich
  erlebte eine Märchenfee. Wir
  liebten uns und lebten ohne Zeit nur füreinander, Gingen
  Hand in Hand und konnten uns von uns Ganz ohne
  Angst und Scheu mit Leichtigkeit berichten. Ich
  erzählte ihr von meinem ungerechten Urteil Und dass
  ich dadurch zum Fremden in der eignen Heimat Und sie
  mir, dass sie hier groß geworden sei. Dass beide
  Frauen zum Verwechseln ähnlich waren, War ein
  Streich des Schicksals, Den ein
  Zufall aufgedeckt und der mit großem Lachen von
  den beiden aufgenommen worden war,  Als diese
  nämlich  Unversehens
  wie im Spiegel voreinander standen.    | Endlich
  konnte ich dem Urteil über mich die Sonnenseite
  abgewinnen. Plötzlich
  stand an einem dieser schönen Tage ein Geparktes
  Fahrzeug vor der Tür.  Die neue
  Frau an meiner Seite löste ihre Hand  Mit einem
  leisen Aufschrei aus der meinen,  Lief
  sofort dort hin, stieg ein und rief noch: „Schreib mich
  gut, du wirst doch alles niederschreiben, oder“? Doch sie
  fuhr nicht ab. So hatte
  ich Gelegenheit zu fragen, was Geschehen
  war, wohin sie fahren wollte.  Nah genug
  am Fahrzeug sah ich aber keinen Menschen. Überhaupt
  erkannte ich, dass dieses Fahrzeug gar
  nicht fahren konnte, Es war
  demoliert und selbst die Türen waren nicht zu öffnen. Als ich
  suchend um mich schaute, Stand die
  Frau, die mich versorgte Und die
  sich vier Männern teilte, Auf der
  Straße vor der Eingangstür. Sie kam
  herüber, sah mir sicher die Verwirrung an. Dann ging
  ich wie im Traum mit ihr in meine Wohnung. Sie sah
  gleich das schwarze Pflaster Und roch
  etwas, das sie kannte,  Denn sie
  sagte:  „Ach, das
  Pflaster hast du wirklich nicht  Gebraucht,
  man hat dir Siolon gegeben.  Das riech
  ich sofort.  Man wollte
  dich gesprächig und gefügig machen. Hoffentlich
  hast du nicht allzu viel erzählt“. Mein Herz
  war nur noch Asche, Und ich
  hab geweint. Nach ein
  paar Tagen hielt ich trotzdem alles wieder fest. Ich gab dem
  Brief die Nummer neunundzwanzig. Den tat
  ich in einen Schlitz des Fahrzeugs. Das war
  schließlich fort. | 
| Namenlos von meiner Insel, 30.
  Brief,            Sie sind unser Ehrengast Vier Männer holten mich erneut mit einem
  Helikopter von der Insel, Fesselten mich fest an Händen und an Füßen. Widerstand war völlig zwecklos, Doch ich wurde nicht betäubt.  Die Frau, die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, Sah aus einem Fenster zu. Ich hatte große Angst, dass man mich einzig
  holte, Um mich irgendwo von Bord zu werfen. Der Pilot hob ab, und niemand sprach mit mir. Wir flogen sehr, sehr hoch und  Schwebten schließlich über einer Landschaft Voller
  Seen und Flüsse, Bergplateaus mit vielem Baumbestand, Dann über Luxusvillen, über Pools  In aufwendigen Parkanlagen, über großen grünen
  Flächen. Unser Landeplatz war hell markiert. Dort setzte man mich einfach ab Und schnitt zuvor die Fesseln durch. Der Kapitän hielt einen Sender in der Hand, Den gab er mir: „Du kannst so lange bleiben wie du willst, Und wenn du diesen Knopf bedienst, Wirst du von uns zurückgeholt“. Er sprach in meiner Sprache, Dann war ich allein. Ich ging auf eines der ganz großen Häuser zu. Man musste mich erwartet haben, Denn ich wurde höflich angesprochen,  Ob ich meine Kleidung wechseln möchte. Dazu wurde ich in einen lichten, aufwendigen Raum
  geleitet, Wo zur Auswahl neue Kleidungsstücke hingen. Dort war auch Gelegenheit zu umfangreicher
  Körperpflege.  Danach wollte man, dass ich mich der Gesellschaft
  zeigte. „Jeder Neuzugang ist uns willkommen, Alle wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt, Was Sie auch brauchen, halten wir für Sie
  bereit“. Ich sollte mich bedienen und bedienen lassen. | In dem Haus stand Personal in schlichter Uniform
  an allen Türen, Und man half mir umsichtig und  Fragte mich dezent nach meinen Wünschen. Als ich fertig war, begab ich mich zu einer  Ansammlung von Menschen, nicht sehr weit entfernt
  von einem  Wasserfall, der schlug hier auf Und bildete im Wassernebel Regenbögen. Offenbar war dies der Treffpunkt einer vornehmen
  Gesellschaft.  Alle waren bestens angezogen, schienen mir die
  Gäste eines großen Festes.  Von der Kleidung über Schmuck und die Frisuren Boten sie ein unaufdringliches und doch auch  Undurchdringliches Erscheinungsbild. Davor bemühte sich ein Fotograf in emsiger
  Geschäftigkeit, Die Posen eines jungen, schöngewachsenen Modelles
  festzuhalten. Das war weiß gekleidet, Stand bedenklich nah am Rand des tobenden
  Gewässers. Das Modell trug bodenlangen, schweren Stoff, mit
  einer Schleppe, Die schon tief im Wasser hing. Das sog sich unbemerkt von ihr in ihren
  Kleiderstoff. Ich sah, wie es die junge Frau  Behinderte und sie nach hinten zog. Sie wendete sich um und suchte nach dem Grund, Verlor jedoch dabei das Gleichgewicht, fand
  keinen Halt und  Stürzte in das aufgewühlte Wasser. Sie ging sofort unter, und ich sah sie und die
  Stoffe in die Tiefe sinken. Jemand sagte: „Ah“, ein andrer „Oh“ Und eine Frau ganz angetan: „Wie schrecklich schön“. Der Fotograf nahm seine Objektive und Geräte, Legte sie in Fassungen zurück. Kein einziger ging an das Wasser, Um nach ihr zu sehen. Ich jedoch lief panisch hin und sprang ihr
  hinterher.   | Schon weit, weit unter mir erkannte ich noch
  einen Weißen Stoff, doch den erreichte ich nicht mehr. Ich hatte Mühe mich nun selbst zu retten. Keiner kam
  zu Hilfe. Alle, die zuvor herumgestanden hatten, Saßen nun auf Steinen oder feinen Stühlen, Lehnten sich genüsslich gegen irgendetwas, Hatten Gläser, angefüllt mit sprudelnden und
  farbigen  Getränken in den Händen, Schalen, angefüllt mit Obst und Früchten, standen Auf zerbrechlichen, geschnitzten Dreifußtischen Zum Bedienen, und man plauderte.  Ich wurde angesprochen, meine nassen Sachen in der schnell herbeigeschafften, luftigen
   Kabine abzulegen Und mich neu zu kleiden.  Drinnen fand ich alles vor. Man nahm mir jeden Handgriff ab. Dicht neben mir vernahm ich dann die Stimme einer
  Frau. Sie wollte sich bei mir bedanken. Das verstand ich nicht, denn das  Modell war sicher tot. Sie aber sagte:  „Nein, Sie haben uns den Tag gerettet, Wir sind alle dankbar. Endlich gab es eine Unterbrechung. Dafür feiern wir ein großes Fest, Und Sie sind unser Ehrengast. Der letzte Neuzugang hat so enttäuscht,  Dass wir uns davon wieder trennen mussten. Na, Sie haben es ja miterlebt.“ Noch in derselben Nacht ging ich zum Landeplatz
  und  Löste meinen Sender aus. Ich wurde gegen Morgen abgeholt. Zurück auf meiner Insel schrieb ich alles auf Und gab dem Brief die Nummer dreißig. Der war schon am Tag darauf von meinem Tisch Verschwunden. | 
| Namenlos von meiner Insel, 31. Brief,  Wären doch Soldaten alle so wie Sie Die Frau,
  die mich versorgte, Und die sich
  vier Männern teilte, Schlief
  mit mir. „Du
  brauchst dich nicht zu sorgen, Denn die
  Männer bleiben fremd für mich, Der
  Umgang, den ich habe, ist ganz anders Als du
  denkst“. Ich kannte
  ihren Namen nicht  Und meinen
  durfte ich nicht nennen. Als wir
  noch beisammen lagen Fing ich
  an ihr zu erzählen, Dass nicht
  weit von hier ein kleines Dorf Gebrandschatzt
  und die Menschen dort von einer Soldateska
  massakriert und  Frauen
  vergewaltigt worden waren. Vieles
  davon hatte ich ganz unbemerkt mit angesehen Als ein Fremder
  unter Fremden, Keiner
  hatte irgendwie Notiz von mir genommen. Weiter
  sagte ich zu ihr:  „Von den
  Soldaten war ein einziger ganz anders,  Denn er
  half dort einer Mutter, Der mit
  ihrer jungen, schönen Tochter, Etwa
  sechzehn Jahre, ohne seine  Hilfe nicht
  die Flucht gelungen wäre“, Und
  erzählte weiter, dass das Dorf Verwüstet
  worden war.  Ich hatte
  den Verdacht, dass die Soldaten aus dem Staatsheer
  stammen könnten und im Auftrag handelten. Man nannte
  einen unter ihnen General, Der
  scheinbar unbeteiligt und gelangweilt hier und da Befehle
  gab. Er
  schirmte ganz gezielt die Mutter und die Tochter ab. Sie
  konnten so, durch ihn geführt, entfliehen In ein
  abgelegenes und dem  Soldaten
  scheinbar wohlbekanntes Haus. Die Mutter
  schien ihn auch zu kennen, Hielt sich
  aber sehr zurück. | Ich folgte
  allen dreien und versteckte mich so gut es ging. Die Frau
  und ihre Tochter nahmen  Trost von
  dem Soldaten an, Und
  wähnten sich in Sicherheit, als sie das Haus erreichten. Die
  Terrassenfenster ließen sich nicht schließen, Das
  gewährte Einblick und Gelegenheit, sie zu belauschen. Drinnen
  hörte ich das Mädchen sagen: „Wären
  doch Soldaten alle so wie Sie, Dann würd
  ich ihnen gerne alles geben Und mein
  Herz dazu“. Die Mutter
  ging ins Nachbarzimmer, Um das nicht
  mit anzuhören. Als sie
  fort war, ließ der General die Maske fallen: „Dich nehm
  ich beim Wort“, Und stieß
  sie gegen einen Tisch. Sie schrie
  kurz auf vor Schreck und Schmerz Und drehte
  ihm den Rücken dabei zu. Da warf er
  sie mit einem Griff der rechten  Hand in
  ihren Nacken Bäuchlings
  bis zur Hüfte auf den Tisch, und hielt sie  Fest
  darauf gedrückt. Sie schrie
  erneut in Panik und vor Angst. Er zog ihr
  mit der freien Hand die  Hosen fort
  vom Unterleib, Und weil
  sie weiter schrie  Und mit
  den Armen auf die Platte schlug, Nahm er
  jetzt seine beiden  Hände für
  den Nacken. Plötzlich
  hörte ich ganz dumpf den Bruch, Dann war
  es still. Der
  General hielt ein in seinem  Tun und
  lauschte. In dem
  Augenblick trat schon die  Mutter ein
  und schrie entsetzt: „Was machst
  du da, was hast du unsrem  Kind
  getan. Was hast
  du unsrer Tochter angetan“. Sie lief
  zum Tisch und drehte ihre Tochter um.    | Er rief
  fast leise und doch viel zu laut:  „Ich ahn
  ja nicht, dass du es bist! Du hast
  ein Kind, ist das mein Kind, mein eignes Kind?“ Sie aber
  sah sich nicht mehr nach ihm um Und
  kleidete den regungslosen Körper wortlos wieder an, Dann
  stolperte sie aus dem Haus, an mir vorbei.  Sie sah
  mich nicht. Es fiel
  ein Schuss im Hinterzimmer. Als ich
  endete, erzählte mir die Frau, die mich versorgte: „Ja, ich
  hab davon gehört und von den Toten in dem Haus Und einer
  Frau, die man am Kliff gefunden hat. Sie war
  gesprungen. Man
  vermutet, dass es ein Familiendrama war. Von einem
  Überfall durch eine  Soldateska
  hätten wir bestimmt erfahren“. Da schwieg
  ich verwirrt, weil mir das nicht die Wahrheit
  schien.  An einem
  nächsten Tag ging ich zu jenem Dorf, Das ich
  zerstört gesehen hatte. Vor dem
  Dorf auf einer Wiese lag noch immer Weithin
  sichtbar qualmendes Gebälk. Die Häuser
  aber sahen mir wie über Nacht von
  Zauberhand errichtet aus.  An einigen
  war noch ganz frischer, feuchter Putz. Zum
  Zeugnis drückte ich in eine solche  Wand die
  linke und die rechte Hand.  Es war
  kein Mensch zu sehen. Danach
  schrieb ich alles wieder auf und gab dem Brief die
  Nummer einunddreißig. Den trug
  ich zurück und legte ihn auf das erloschene Gebälk.  | 
| Namenlos von meiner Insel, 32.
  Brief,  Immer ist der Mensch allein auf dieser Welt Die Frau,
  die mich versorgte, und die sich Vier Männern
  teilte, war in meiner Wohnung Als sie
  seufzte:  „Immer ist
  der Mensch allein auf dieser Welt.“ Das war
  nicht ihre Art, ich fragte nach, sie Gab mir
  aber keine Antwort.  Wenig
  später machten wir, eng aneinander wie Verliebte, Eine
  Ausflug ohne Ziel auf unsrer Insel. Trotzdem
  fühlte ich mich fern von ihr, und ihre  Stummheit
  neben mir, stand zwischen uns. Wir kamen
  schließlich an ein Tal, das
  strahlte, von der Sohle wie beleuchtet, Eigenartig
  blau bis an die Höhe, wo wir uns befanden. Ich
  erkannte schnell darin ein Gas, das bis hier oben stand. Es war
  sehr klar, fast durchsichtig, geschmeidig schwebend,  Zog in
  sanften, stillen Wellen über einen  Sandweg,
  der bergab verlief.  Tief unten
  waren Häuser, Bäume, Straßen, Türme schemenhaft zu sehen. Hinter uns
  erschienen, kaum bemerkt, zwei weiß Gekleidete, Ein Mann
  und eine Frau, die kannten sich wohl aus. Sie
  meinten, als sie sahen, dass ich zögerte, den  Abstieg
  durch das Gas zu wagen und bezeugten, dass es  Ungefährlich
  sei und machten Mut: „,Wir arbeiten
  dort unten, wir sind Pfleger. Was du
  siehst ist überhaupt nicht giftig oder irgendwie gefährlich.“ So ging
  ich in Neugier los. Die Frau,
  die mich versorgte, traute sich nicht recht, Blieb
  lieber mit den anderen zurück. Das Gas
  war angenehm zu atmen, und es wurde selbstverständlich, Dass ich
  nicht mehr daran dachte. Bis zum
  Grund des Tales wanderte ich über eine Stunde. Unten
  angekommen traf ich keinen  Menschen,
  sah auch keine Tiere, hörte nur vereinzelte Geräusche. | Eine
  Turmuhr schlug im Zufall, läutete nicht mehr die Zeit, Es war als
  riefe sie nach etwas. Drüben
  stand ein Hochrad, an dem pendelten die leeren  Gondeln,
  ohne Schwung und ohne Schub. Es wurde
  später Nachmittag.  Ich sah
  nach oben in ein scheinbar abendblaues Himmelsdach. In Straßen
  und in Häusern gingen nacheinander Lampen an. In einem
  großen Haus vermutete ich endlich Leben, Weil ich
  Schatten über Fensterscheiben huschen sah und ging hinein. Dort
  drinnen standen alle Türen offen.  Durch die Räume
  schwebten Zeitungen und anderes Papier  Als
  schwerelose Gegenstände. Überall
  entdeckte ich Bestecke, wie für medizinische Behandlung. Viele
  Zimmer hatten Betten mit Versorgungsschläuchen, Waren hell
  erleuchtet und gewiss seit Jahren nicht benutzt, Das
  zeigten schwere Schichten Staub  Und große,
  hohe Spinnwebnetze ringsherum. Ich dachte
  an die beiden Pfleger, die hier ihre Arbeit
  hatten haben wollen. Wieder
  außerhalb erschien mir, was ich sah, in  Tageslicht
  getaucht und nicht in Blau. So gab es
  letzte Flecken Sonnenlicht in Schatten unter grünen Bäumen. Kleine
  Wasserläufe spiegelten die Farben wider. In der
  Dämmerung verlief ich mich ganz plötzlich  Und verlor
  den Rückweg völlig aus den Augen. Als ich
  aber einen schmalen Pfad entdeckte, Brachte
  der mich vor die Glastür eines Liftes, Der nach
  oben, eine Tunnelwand erklimmend, an den  Rand des
  Tales führte. | Ich war
  vorsichtig und drückte innen auf den Schalter für den Aufstieg,
  der hieß Bergfahrt, dann auf den für  Rückkehr, der
  hieß Talfahrt, ohne einzusteigen. Er fuhr
  an, der Lift verschwand nach oben  Und kam
  dann zurück. Nun stieg
  ich selber ein und fuhr hinauf. Nach
  wenigen Minuten Fahrt ging eine Tür in meinem  Rücken auf
  und gab den Ausgang frei. Ich ging
  hinaus und er verschloss sich hinter mir sofort, Er wurde
  Teil der Felswand. Es gab
  nichts, was irgendwie auf eine Tür gedeutet hätte. Nicht so
  weit entfernt sah ich die  Frau, die
  mich versorgte, angelehnt an einen Baum. Ich musste
  an heut Morgen denken, Wollte ihr
  vom Tal berichten Und der
  Menschenleere, die dort unten herrschte, Und war
  voller Sehnsucht. Sie kam
  mir jedoch zuvor und sagte: „Heute
  konnte man dort unten vieles äußerst gut  Erkennen
  und sogar die Leute sehen und die vielen Tiere. Die zwei Pfleger
  sind dir gleich gefolgt, Sie
  mussten ihre Schicht antreten. Die dort
  unten haben es nicht leicht, sagt man, Und
  eigentlich weiß niemand so genau Was sie
  dort machen, auch bei guter  Sicht,
  kann man das nicht erahnen.“ Da ging
  ich mit ihr als  Fremder
  unter Fremden durch die Dunkelheit zurück. Ich
  schrieb mir später alles wieder auf Und gab
  dem Brief die  Nummer
  zweiunddreißig. Den ließ
  ich an einem schönen Sonnentag, Gefaltet,
  dass er segeln konnte, Talwärts
  gleiten.   | 
| Namenlos von meiner Insel, 33.
  Brief Nachts lieg ich an seiner Seite Die Frau,
  die mich versorgte, Und die
  sich vier Männern teilte, War mit
  mir auf einer Wanderung, Die uns in
  Richtung Inneres der Insel führte. Dabei
  sagte sie fast nebenbei: „Ich nehme
  mir die nächsten Wochen frei. Ich will
  mich um die Männer kümmern, Denen ich
  mich teile“, und „Es ist
  nicht wie du denkst“. Obwohl sie
  niemals ihren Namen nannte  Und auch
  keinen Anspruch auf mich geltend machte, Wurden
  mein Gefühl für sie und dass wir  Liebe
  miteinander haben konnten, Sehr
  enttäuscht. Sie sagte
  noch: „Sie wohnen oben in den Bergen, Und ich
  bleibe jeweils eine Woche“. Das schien
  mir zu lange, doch ich schwieg dazu.  Sie nahm
  mich wie zum Abschied in die Arme, Und ich
  machte mich noch vor ihr auf den  Weg nach
  Hause. Ich ging
  anders heim als wir gekommen waren Und
  gelangte an ein Grundstück, Dessen
  Tore offen standen und mit einem Schild zur
  Einkehr und in ein Museum luden. Ich war
  intressiert und ging die lange  Auffahrt bis
  zu einem Haus, das einsam stand, im Mauerwerk
  verfallen, angegriffen war, In anderen
  Details jedoch noch herrschaftliche Farbenpracht
  entfaltete, und Steinfiguren in versteckten  Nischen
  zeigte, aufgestellt auf Simse, die weit vor die Wände reichten. Um zu
  läuten, musste ich an einem Drahtseil vor der  Ornamentverzierten
  Eingangspforte ziehen,  Und, als
  hätte man dahinter nur auf mich gewartet, Öffnete
  sich gleich die schwere Tür. Es
  streckte sich mir einzig eine Frauenhand entgegen. Diese bog
  sich wie zum Handkuss leicht herab, als  Blasses
  Schiffchen, dessen Segel sich verbargen. | Ich
  bediente mich und nahm die  Frau mit
  aufgestecktem Mähnenschopf dahinter wahr. Sie war
  noch jung, dass ich nach ihrer  Mutter
  fragen wollte, aber sie zog mich, vertraut,  Voll Anmut
  und in Gastlichkeit ganz sanft ins Haus, Dass ich
  bei ihrem mädchenhaften Charme Nur noch
  dies eine Wesen sehen wollte. Drinnen,
  schon im Flur, begann sie zu erzählen, Dass sie
  hier mit ihrem Mann gelebt und beide voller Hoffnung eine
  Zukunft hatten finden wollen. Ihre Liebe
  war jedoch ein Bett der Ahnungslosigkeit  Aus dem
  sie schrill gerissen wurden, Als ein
  militärischer Konflikt, von weit her kommend Sich als
  Flächenbrand auf Haus und Hof ergoss.  Sie hatten
  nie davon gehört, und diese Dinge
  waren ihnen nicht bewusst gewesen,  Die
  Gefahren nicht bekannt. Ich fühlte
  mich sehr schlecht bei ihrer  Schilderung,
  nicht nur, weil die Erzählung mich berührte, Sondern
  schlimmer, weil ich meinen Blick nicht von ihr lassen konnte, Nicht von
  ihrer engen Taille und nicht von den Linien, die ihr zarter  Körper
  durch das Kleidchen drückte.  Von dem
  Bild besessen wünschte ich mir  Augenblicklich
  Kohle und Papier Und dass
  sie mir Modell gesessen und gestanden hätte. Wir
  gelangten in ein großes Zimmer, an ein  Fenster,
  davor stand ein Mann: „Das ist
  mein Mann.  Hier wurde
  er erschossen, denn er wollte alles sehen, Als die
  draußen waren. Er ist
  jetzt aus lebensechtem Material gefertigt, Weil wir
  ein Museum sind. Ich habe
  ihn noch viele Male, In der
  Küche und im Bett, im Keller,  Überall,
  wo er sich gerne aufgehalten hat“. Sie zeigte
  mir das Doppelbett, Er lag
  darin: „Und nachts lieg ich an seiner Seite“.   | Durch ein
  Fenster blickte ich noch einmal auf das  Schild zur
  Einkehr und erfragte eine  Möglichkeit
  der Unterkunft. Sie gab
  mir Antwort, aber meine Suche war umsonst.  Ich kam
  zurück und läutete erneut. Als
  niemand kam, schob ich die angelehnte Pforte Einfach
  auf und ging bis in das Zimmer. An dem
  Fenster stand der Mann und diesmal neben ihm Die junge
  Frau, wie er aus lebensechtem Material gefertigt. Beide
  hatten Schussverletzungen im  Kopf und
  an der Brust.  Die
  Fenster waren nicht zersplittert, aber Einschusslöcher zu erkennen. Ich ging
  weiter und sah beide wie lebendig, unbewegt In ihrer Küche,
  unbekleidet in dem Badezimmer, dann In ihren
  Betten.  Über allen
  Gegenständen, auf den  Tüchern,
  Teppichen und an den Wänden lag und hing ein feiner  Aschestaub
  wie von weit her geweht. Von da an
  hielt ich mich versteckt auf meiner Insel, bis
  die Frau, die mich versorgte, wieder eintraf. Sie war
  völlig unbesorgt und sagte, dass sie und die Männer  Sanitätsdienst
  hatten leisten müssen. Das
  beschämte mich. Sie sagte
  auch: „Das Haus, von dem du mir erzählst, Ist schon
  vor Jahren abgerissen worden, und die jungen  Leute
  wurden dort begraben“. Trotzdem
  schrieb ich alles auf  Und gab
  dem Brief die Nummer dreiundreißig. Den
  vergrub ich auf dem Grundstück wie auf einem Friedhof. | 
| Namenlos von meiner Insel, 34.
  Brief Meine Lust zu malen Die Erlaubnis
  des Gerichtes,  Mich mit
  namenlosen Briefen an die Außenwelt zu wenden, War ein
  Zugeständnis, das sofort Verdacht in mir erweckte. Niemand
  würde die je zu Gesicht bekommen, Ja, man
  gaukelte mir einen letzten Hauch von  Freiheit,
  Freiraum in Verbannung vor Und suchte
  mich so auszuhorchen. Alles
  aufzuschreiben war gefährlich, und ich wusste das,  Und ich
  schrieb gerne.  Meine Lust
  dazu wich aber eines Tages einer Tapferkeit.  Ich wurde
  völlig unerwartet von dem  Wunsch, zu
  malen und mich bildlich mitzuteilen, überrascht. Ich hatte
  weder Pinsel, Staffelei noch Farben. Doch ich
  spürte Eifer. Um die
  Sache richtig anzugehen Brannte
  ich mir Kohle, und statt einer Leinwand
  und der Staffelei benutzte ich vom Speicher
  einen Teil der Wandverkleidung meines Zimmers, eine  Holzspantafel,
  die sich förmlich anbot.  Eigelb,
  rote Läuse, brauner Wurzelsaft, gekochter Tee, Besonders
  gelber Blütenstaub, ganz fein zerriebene, Sehr weiche Steine,
  weiß und grün, Ergänzten
  die Palette meiner  Möglichkeiten,
  Farben mit zerfetzten  Stoffen,
  die ich rollte, aufzutragen. Mit der
  Frau, die mich versorgte, und die sich vier Männern
  teilte, sprach ich über meine Absicht. Sie
  durchschaute meinen Plan sofort und sagte: „Ich bin
  nur bereit als Rückenakt Modell zu sitzen Und
  vielleicht noch Kopf, Gesicht und Oberkörper im Profil.  Das ist
  geheimnisvoller als ein reiner Akt.“ Das war
  mehr als ich wünschen durfte. Andrerseits
  war sie sich ihrer weichen  Schultern
  und des schlanken, langen Halses sicher. Als sie
  meine Farben sah, erstaunte sie und Hielt die
  für Geheimniskrämerei: „Ich weiß,
  dass manche  Künstler
  ihre Farben selber mischen“. | Danach
  stand sie mir Modell.  Sie hatte
  viel Geduld und brachte offenbar Erfahrung mit, Denn ihre Körperhaltung
  blieb stets gleich, Und sie
  verzichtete darauf, sich zwischendurch den  Fortschritt
  meiner Arbeit anzusehen. Ihre Pose
  war sehr raffiniert und brachte  Spannung
  durch Verstecken und durch wenig Zeigen. So hielt
  sie den rechten Arm zwar angewinkelt vor den Bauch,  Gleichzeitig
  aber seitlich einen Spalt breit ab vom Körper, dass die rechte Brust im
  Ansatz und dem Übergang zum Oberkörper Durch zwei Blitze weißen Lichtes deutlich wurde. Als
  Betrachter meinte man, sie fast von vorn zu sehen. Tag für
  Tag stand sie für mich, Und ich,
  in ihrem Rücken, schuf mir eine eigne Welt. Ich
  änderte an Strichen und den Farben, Die mir
  gute Dienste leisteten. Der
  Rückenakt verlangte schließlich nach  Umarmung
  und ich fügte Landschaft, Blumen und ein Sonnendach
  hinzu und gab der Arbeit einen Namen. Dann hielt
  ich sie für beendet und die Frau, die mich versorgte, Warf das
  erste Mal, verhalten und auch neugierig, Den Blick
  darauf.  Sie zeigte
  sich zufrieden, gab trotzdem noch ihre  Meinung frei,
  die mich zu Nacharbeiten zwang. Sie
  wollte, dass die Farben stärker, die  Strukturen
  auch in größerer  Entfernung
  vom Betrachter deutlicher  Erkannt
  und wahrgenommen werden könnten. Sie
  verstand etwas von Malerei, das sah ich ein, ergänzte was sie meinte Und
  beendete danach erleichtert das gemeinschaftliche Werk. Am
  nächsten Morgen schauten wir noch einmal auf das Ganze. Um uns zu
  erholen, machten wir dann einen Fußweg an die Küste.   | Hier war
  Ruhe, kaum ein Lüftchen wehte, Und das
  Meer war spiegelglatt.  Ich ging
  ins flache Wasser und sah Fische darin schwimmen.  Weiter
  draußen fiel mir etwas Buntes unter Wasser auf. Es schien
  dort halb zu schwimmen und halb abzusinken. Plötzlich
  schrie ich aber auf, es stockte mir das  Herz, als
  ich mein Bild erkannte. Es schien
  mir im ersten Augenblick dort zu ertrinken, Meine
  Farben hätten das nicht überstehen können, Und ich
  ging, um es zu retten, es herauszuziehen. Doch es
  war nicht meine Spanholzplatte, die ich packte, Sondern nur
  ein übergroßer Bogen aus Papier  Darauf der
  „Rückenakt mit Landschaft“, Wie das
  Bild nun hieß. Die Frau,
  die mich versorgte, kam zu mir. Ich hielt
  den Bogen hoch, das Wasser tropfte ab. Die Farben
  waren unversehrt. Sie rief: „Das ist
  ein Flyer, sicher nicht der einzige.  Es sind
  bestimmt noch Hunderte im Wasser. Möglich,
  dass man aus Versehen welche machte,  Und die
  gar nicht haben wollte.  Die sind
  dann ins Meer geworfen worden. Sehr
  wahrscheinlich aber hat man dir das echte  Bild auch
  noch entwendet, und es ist jetzt in Gefangenschaft,
  man hat es weggesperrt“. Zuhause
  angekommen, war das Bild tatsächlich fort. Statt
  dessen fand ich eine Staffelei, gerahmte Leinwand, Feinste
  Zeichenkohle neben Farben, Pinseln und Paletten vor. Ich musste
  mich erbrechen. Meine Lust
  zu malen war zerstört und mir genommen. Ich
  schrieb trotzdem später alles wieder auf Und gab
  dem Brief die Nummer vierunddreißig. Den
  versenkte ich, mit einem  Stein
  beschwert im Meer. | 
| Namenlos von meiner Insel, 35. Brief Neues aus der Wissenschaft In meinem Zimmer hing ein Spiegel, Eingefasst in goldverziertem Rahmen, In der Größe meines Oberkörpers. Es war mir bis jetzt nicht aufgefallen, Dass ich mich darin nicht sehen konnte. Erst die Frau, die mich versorgte und  Die sich vier Männern teilte,  Und die sich darin betrachten wollte, Wandte sie sich mir zu und sagte:  „In dem Spiegel seh ich fremde Menschen, Fremde Köpfe und Gesichter, die sich frei Bewegen, nur nicht mich. Was soll das, ist das Elektronik oder Spionage oder
  sind das Filme. Stimmen hör ich keine.“ Ich war irritiert und sah nun selbst hinein. Es war schon Jahre her, seit man mich namenlos  Und fern von meiner Heimat auf dies Stückchen
  Fels im Meer verbannte  Und mich käfiggleich und ohne jede Schuld darauf
  gefangen setzte. Niemand gab sich mir als wahrer Ansprechpartner
  zu erkennen, und die Willkür unberechenbarer Obrigkeit brach zu oft Unversehens über mich herein. Ich ging, um mich das erste Mal bewusst im Spiegel wahrzunehmen und fand mich sehr alt geworden. Ich erschrak darüber und erkannte mich fast
  selbst nicht wieder.  Wollte sie mir das auf diese Weise sagen? Ich betrachtete mich nah am Glas und stieß mit
  meiner Stirn dagegen. Noch im selben Augenblick entwich mein
  Spiegelbild und machte Platz den Menschen, die die Frau zuvor vielleicht
  gesehen hatte.  Ich bemerkte, dass der Spiegel sich zu einer  Doppeltür erweiterte, dann öffnete und mich
  hindurch ließ.  Wie im Abschied warf ich einen Blick zurück und
  sah die  Frau, die leicht gebückt, in Regungslosigkeit
  verharrte,  So als raste ich mit übergroßer Schnelligkeit und doch im Stillstand von ihr
  fort. Sie konnte mir nicht folgen. Dessen ungeachtet hörte ich sie auf der andren
  Seite sagen,  Dass ich mit ihr kommen sollte. Sie war drüben, ebenso wie ich.  Sie schien zutiefst bedrückt.   | Sie war mir mehr als eine gute Freundin, Und wir hatten uns schon oft geliebt. Dagegen blieb sie mir nun fremd und war doch
  sanft, Als sie mich an der Hand ergriff, um mich zu
  führen.  Wir gelangten über eine breite Straße mit
  vielspurigem Verkehr.  Das alles konnte nicht auf meiner Insel sein.  Ich wähnte mich auf Festland.  Menschen eilten hin und her und schienen feste  Ziele zu verfolgen.  Einige versammelten sich einem  Hochhaus gegenüber auf der andren Straßenseite. Dorthin gingen wir. Die Leute schauten wie gebannt nach oben, so als
  gäbe es am  Dach des hohen Hauses etwas zu entdecken. Ich war neugierig und tat wie sie. Da löste sich die Hand der Frau aus meiner. Mit dem Rücken wischte sie sich Tränen von der
  Wange.  Das verstand ich nicht und fragte vorsichtig: „Warum? Du weinst? Was ist?“ Sie legte mir den feuchten Finger auf den Mund Und ging nach drüben in das Haus. Ich blieb zurück. Nach wenigen Minuten wollte ich sie suchen Und sah noch ein letztes Mal zum Dach. Da sah ich sie alleine oben auf der  Brüstung stehen, und sie machte ohne das
  geringste  Zögern den verhängnisvollen Schritt ins Nichts. Sie stürzte lautlos in die Tiefe. Meinen Aufschrei unterdrückte ich mit beiden Händen
  vor dem Mund, Und als sie aufschlug, hielt ich mir die Ohren
  zu. Es drängte mich, zu ihr zu laufen. Aber neben mir hielt jemand seine  Hand auf meine Schulter und mich leicht zurück: „Das ist bestimmt nicht gut, Sie sollten das
  nicht tun.“ Da blieb ich hier und sah nach wenigen Minuten
  Helfer einer Ambulanz, Die sie in ein Behältnis legten, Dann in einen weißen Wagen luden und sie mit sich
  nahmen. | Ich war schwer geschockt, sah keinen Grund Und konnte nicht verstehen was geschehen war. Nicht einmal weinen konnte ich, Die anderen, die dieses Unglück mit gesehen
  hatten, gingen  Langsam auseinander.  Ratlos und verstört fand ich den Weg zurück Und stieß sehr schnell auf jene Doppeltür, die
  auf der andren  Seite Glas gewesen war. Sie ließ sich öffnen und ich ging hindurch. In meinem Rücken schloss sie sich jedoch sofort  Und gab den Spiegel wieder frei. Ich sah hinein und mich darin wie jeden Morgen, Wenn ich mich rasierte. In dem Spiegel sah ich auch die Frau, die mich versorgte und die sich vier Männern teilte, auf dem Sofa liegen. Sie war nicht erstaunt und fragte, was geschehen
  sei: „Du warst so plötzlich aus dem Zimmer“. Ich war drauf und dran ihr alles zu erzählen. Doch sie selber wusste etwas: „Man berichtet Neues aus der Wissenschaft. Es ist jetzt möglich, lebende Personen über weite
  Strecken, ohne jeden  Zeitverlust zu transportieren. Dabei sollen sie die Räume wechseln können Und als vollständig perfekte Spiegelbilder
  existieren“. Da behielt ich das Erlebte ganz für mich und
  sagte nichts.  Ich war danach allein und schrieb mir alles
  wieder auf. Ich gab dem Brief die Nummer fünfunddreißig. Der hing über Tage angeheftet an dem Spiegel, Bis er irgendwann verlorenging. | 
| Namenlos von meiner Insel, 36. Brief In einem sogenannten
  Notfall Eines Tages standen Männer vor der Tür, ein
  Fahrer in Zivil  Und zwei Bewacher, die verschleppten mich erneut. Von meiner Nachbarin, der Frau, die mich
  versorgte,  Und die sich vier Männern teilte, kam Beruhigung, Denn sie empfahl mir mich zu fügen, mich der
  Sache ganzen Herzens Anzunehmen, als man mich in meiner Sprache wissen
  ließ, Dass ich für eine Reise in den  Orbit vorbereitet werden sollte. Das verstand ich nicht, weil ich mich stets für  Unsportlich und untrainiert gehalten hatte, Ich verstand jedoch sofort, dass nur ein simpler  Grund auf mich die Auswahl hatte fallen lassen
  können: Eine Reise ohne Wiederkehr stand mir bevor. Die Toten hätte ich niemals gefürchtet, Sicher aber waren einige von ihnen oben auf der
  Bahn, Und denen wollten mich die Lebenden nun näher
  bringen.  Fast den ganzen Tag verbrachte ich in einem
  Fahrzeug, Nur begleitet von den Leuten. Das Gefährt, in dem ich saß, fuhr dann direkt zu
  einem  Flugzeugkörper, der mir übergroß erschien. Ich wurde dort an einem Eingang abgesetzt Und meinem Schicksal überlassen.  Niemand folgte mir.  Ich ging hinein und war in einem großen, runden  Raum und sah mich um. Von hier aus konnte ich nur einen kleinen
  Ausschnitt überblicken, Darin waren Treppen, die nach oben führten. Fenster waren zwar verdunkelt,  Doch der Raum war hell erleuchtet. Nacheinander zählte ich weit über zwanzig
  hilfsbereite  Stewardessen, die sich ganz dezent um jeden
  kümmerten. Ich hörte keinen Triebwerklärm, und die von mir
  vermuteten Geräusche von Motoren waren nur sehr schwach. Mir wurden Sitzgelegenheiten angeboten, die ich
  in dem großen Raum, mit bunten Sesseln, farbenfrohen Teppichen,
  mit  Tischen und Getränkeständen, allesamt aus edlem
  Holz gefertigt,  Wie auf einem Luxusschiff, in Anspruch nehmen
  konnte.   | Die Maschine hob dann scheinbar senkrecht ab  Und ging in einen Steilflug über. Hier im Flugzeug gab es viele Passagiere, Frauen, kleine Kinder und vereinzelt Männer. Niemand wurde angeschnallt,  Es konnte jeder sich bewegen, wie es ihm gefiel,
  wohin er wollte. Alle wurden ganz persönlich und sehr  Freundlich, aufmerksam und umsichtig betreut Und über alles Maß, fast liebevoll, verwöhnt. Man gab uns weiche Kleidung, eigenartig feste
  Schuhe, Fragte jeden vor der Mahlzeit nach den Wünschen
  und erfüllte die. Dabei vernahm ich völlig unbekannte Sprachen  Und sah Speisen, deren Ursprung ich nicht deuten
  konnte. Dieser erste Teil der Reise währte wohl drei  Stunden, und wir flogen in sehr großer Höhe, Das gab man auf einem Lichtband, das den  Raum durchquerte, an. Die dort gezeigten Dimensionen hatte ich zwar nie
  gehört, Trotzdem verstand ich, dass wir außerhalb der  Erdanziehung waren, unsre Schwerkraft aber
  beibehielten. Plötzlich nahm ich wahr, wie die von mir
  vernommenen Geräusche ganz verstummten. Danach wurden Fenster und die  Seitenwände automatisch fortgenommen. Schwaches Licht von draußen fiel herein. Die Reisenden und ich erfassten diesen Augenblick Als große Sensation. Wir alle schienen wie barrierefrei ein  Teil der Außenwelt und waren doch im Fluggerät.  Das Licht kam von der Sonne, die sehr klein
  geworden war. Die Erde stand als weit entfernter, blauer  Ball mit weißen Feldern tief im schwarzen Raum, Der war milliardenfach durchstochen von dem
  Lüsterglanz des Perlennetzes einer weit entrückten Haarpracht. Links verschmolz ihr Rand darin mit einer
  schmalen Schattensichel. Es war mir ein kristalliner Anblick,  Der statt Ruhe Stille brachte und Erhabenheit,
  die ich sonst nur Beim Anblick großer Bergmassive unter Eis
  verspürte.  | Ja, es überkam mich eine ungewollt erfüllte und
  wie unter  Pein erlittene zugleich geschenkte Dankbarkeit in
  Demut,  Die mich ratlos, beinah hilflos machte. Dieser zweite Teil der Reise ließ mich zu den Auserwählten Menschen werden, denen sich das  Glück an ihre Fersen heftet, ohne dass sie etwas
  dafür tun. Das tat unendlich gut. Der Rückflug dauerte ein wenig länger und war
  lautlos wie zuvor. Man holte mich am Bahnsteig wieder ab und fuhr
  mich heim. Es wurde nicht mit mir gesprochen. Als ich nach zwei Tagen spät auf meiner Insel
  eintraf, ging ich  Zu der Frau, die mich versorgte und erzählte ihr
  begeistert Von dem Flug, dass ich dort Einzigartiges erlebt Und ihn von vornherein ganz falsch beurteilt
  hatte,  Dass ich mich besonders ausgezeichnet glaubte.  Ihre gutgemeinten Worte klangen noch in meinem
  Ohr. Sie aber sah mich an, als  Wüsste sie nicht wie sie es mir sagen sollte. Es verging viel Zeit bis sie mehr flüsterte als
  sprach:  „Auf diese Reisen werden immer wieder  Ahnungslose einfach mitgenommen,  Manchmal dann missbraucht in einem  Sogenannten Notfall für Organentnahme.“ Darauf wurde ich ganz still und die Gefahr, in der ich mich befunden hatte, wurde mir
  bewusst. Sie hatte recht, es gab nur diesen einen Grund
  für meine Auswahl, Und ich fühlte mich zutiefst gedemütigt. Nach einer Woche schrieb ich trotzdem alles
  wieder auf  Und gab dem Brief die Nummer sechsunddreißig. Den verklebte ich ganzflächig mit der Zimmerwand, Doch schon andren Tag war er verschwunden. | 
| Namenlos von meiner Insel, 37. Brief Gerne hätte ich ihr das geglaubt Es überkam
  mich große Sehnsucht nach der Frau, die
  mich versorgte und die sich Vier
  Männern teilte. Es war spät
  am Tag, ich wollte sie besuchen, Ging und
  klopfte an die Tür. Sie
  öffnete und freute sich verhalten, Bat mich
  aber trotzdem in ihr Zimmer. Sie war
  nicht allein.  Es saßen
  die vier Männer völlig teilnahmslos auf Stühlen
  und auf einem Sofa, ohne sich um mich zu kümmern. Sie
  verstand sofort, dass mein  Besuch nur
  ihr alleine gelten konnte, Und sie
  sagte mit normaler Stimme: „Tu doch
  so, als wären sie nicht hier.  Es gibt
  sie gar nicht in dem Raum.“ Sie hatte
  einen frischen  Blumenstrauß
  auf ihrem Tisch, den traf das Licht der Abendsonne,  Dass er
  noch in Gelb und Grün, Orange und Weiß erstrahlte. Daraus zog
  sie eine gelbe Blüte, deren  Duft
  verbreitete sich bis zu mir. Sie schob
  den Blütenstengel vorsichtig ins Braune Haar,
  das glänzte leicht und hing weit über ihre  Schultern,
  fiel in festen Locken auf den Rücken. Ihre Augen
  wandte sie zu einem großen Spiegel, Ging dort
  hin und sah sich an. Ich stand
  nun hinter ihr. Mit
  leichtem Zucken einer  Augenbraue
  fragte sie mich etwas, was ich nicht erriet, Es war
  fast wie die Bitte um Erlaubnis. Ich trat
  dicht an sie heran und rätselte Was sie
  wohl meinte, das ich ihr gewähren sollte, Und was
  nicht schon längst mein eigner tiefer  Wunsch an
  sie gewesen wäre. Dann
  erfasste sie, mit ihren Händen rückwärts tänzelnd, Meinen
  Kopf, umschlang ihn liebevoll  Und beugte
  mein Gesicht zu sich herab.  | Ich aber
  streifte ihr das dünne Hemdchen und das T-Shirt
  hoch bis zu den Schultern. Ihre Hände
  zogen alles über Kopf und Haar. In ihrem Rücken
  ließ ich eine kleine  Schnalle
  aus den Häkchen springen. Sie sah
  nun mit mir auf sich, Die fein
  gebräunten Arme hielten, für  Sekunden
  vor der Brust verschränkt, die Kleidung. Doch dann
  ließ sie alles fallen, drehte sich in meinen Armen um zu
  mir und öffnete mein Hemd. Sie ließ
  sich Zeit. Ich küsste
  ihre Haut wo ich sie fand, Und sie
  entwand sich nicht. Wir legten
  unsre letzten  Kleidungsstücke
  ab und gingen auf ihr Bett. Sie
  streckte sich und schloss die Augen. Lange
  lagen wir so neben uns und  Waren
  frei, ein jeder an dem anderen. Ich sah
  ganz kurz ins Zimmer zu den Männern, Ob ich
  mich durch sie nicht nur gestört, vielleicht sogar Bedroht
  gesehen haben müsste.  Doch die
  waren wie zuvor nur Gäste, die auf Gar nichts
  warteten. Ich gab
  mich neu der weichen, warmen Haut In einem
  Liebesspiel mit vielen Küssen hin, Bedachte
  dabei auch sehr flüchtig jenes  Kleine,
  schwarze Pflaster, zur Verhütung und zum Schutz. Das wollte
  ich vermeiden, Weil mich
  nichts mehr stören sollte. Doch sie
  hielt es schon als Fähnchen in der  Hand und
  führte es vorbei an ihren Lippen, Angereichert
  mit ein wenig ihres Speichels, dass es sich  Als
  hingehauchter Kuss auf meinem  Unterleib
  vorübergehend implantieren konnte. Ich
  gestand ihr mehrfach meine Liebe, aber ihren Namen
  wusste ich noch immer nicht. „Den wirst
  du erst erfahren, wenn ich deinen weiß“.   | Sie
  wusste, dass man mich zur  Namenlosigkeit
  verurteil hatte,  Und kein
  Name konnte deshalb richtig sein.  Aus Spaß
  ließ sie mich trotzdem raten, das blieb aber nur ein Necken,
  ohne dass ich schlauer wurde. Ich erfuhr
  auch nicht, ob sie mich liebte, Denn das
  wagte ich sie nicht zu fragen. In dem
  Augenblick jedoch, als wir uns  Liebten,
  sagte sie: „Ich lieb
  dich auch“, und wiederholte diesen Satz so
  oft, bis er in Schluchzen überging. Die Männer
  blieben ungerührt und gaben kein Geräusch
  von sich. Wir hatten
  stundenlang zusammen  Eng an eng
  gelegen und uns viel berührt Und unsre
  Liebe wiederholt. Als ich am
  frühen Morgen heim in meine Wohnung gehen
  wollte, fragte sie: „Wie geht
  es dir“. Ich sagte: „Gut, sehr
  gut.  Ich lieb
  dich immer noch und immer wieder neu“. „Dass du
  mich liebst, hör ich sehr gerne und ich glaube dir. Ich bin
  mir aber sicher, dass es dir nicht gut geht So wie du
  behauptest. Meine
  Liebe in Gesellschaft der vier  Männer ist
  dir fremd geblieben, und sie haben dich gestört. Vielleicht
  verstehst du eines Tages selbst,  Dass sie
  nicht wirklich hatten existierten können“. Gerne
  hätte ich ihr das geglaubt. Nach Tagen
  schrieb ich alles wieder auf Und gab
  dem Brief die Nummer siebenunddreißig. Den gab
  ich ihr später unverschlossen, dass sie alles lesen Konnte und
  verlangte ihn von ihr auch nicht zurück. | 
| Namenlos von meiner Insel, 38.
  Brief Es war nicht Platz genug in mir Tagelang empfand
  ich mich von  Blank
  poliertem, dünnsten Glas umhüllt, in dauernder  Gefahr, es
  könnte jemand seinen Fingerabdruck
  darauf hinterlassen oder nur ein Tropfen
  seine lange Spur. In dieser
  Zeit erreichte mich Musik, die wehte aus dem  Fenster
  eines der Gebäude ganz in meiner  Nähe bis
  hierher in meine Zimmer. Die Musik
  klang fremd. Es schien
  als ringe sie mit Ritual und Tradition  Vielleicht
  erfüllte sie den Wunsch nach  Lebenslust
  in unbekannter Art. Es wurde
  dabei nicht gesungen sondern Instrumente,
  wie Bandoneon, Klavier und Violine
  spielten konzertant und zögerlich und Leidvoll,
  immer wieder neu, sehr lange  Melodien.  Sie
  schienen sich zu unterstützen und sich zu ergänzen.  Ich
  bedachte mich in meinem  Glasgebäude,
  wusste nicht ob es mit mir darin Gut gehen
  konnte oder ob es reißen würde. Ich ging
  vor die Tür, vielleicht nur um  Gewissheit
  zu erhalten. Da kam
  unerwartet meine Nachbarin, die  Frau, die
  mich versorgte und die sich Vier
  Männern teilte, auf mich zu. Sie schien
  das, was ich hörte, gar nicht wahrzunehmen, Denn sie
  hatte ihre eignen  Instrumente
  auf den Lippen, Hatte
  etwas auf dem Herzen und auch nicht. | Sie
  sprudelte heraus: „Ich liebe
  diesen Tag und weiß doch nicht warum, Ich liebe
  dieses Leben und ich möchte weinen. Ich weiß
  nicht wohin damit, Ich bin
  allein, auch wenn ich nicht alleine bin.“ Ich sagte: „Hörst du
  die Musik, die kommt von drüben, aus dem großen Haus. Vielleicht
  wird dort gefeiert und getanzt.“ Sie aber
  hörte nichts und sah nicht hin, Und ich verstand
  sie nicht und doch auch gut. Ich wollte
  ihr vom gläsernen Gefühl Erzählen,
  das von mir Besitz ergriffen hatte, Ließ es
  aber sein und fragte: „Brauchst
  du Trost“? Ich hätte
  sie in Pflege nehmen können Doch es
  war nicht Platz genug in mir für ihre Wünsche
  oder Sehnsüchte. So wurde
  sie für mich die Hand, die ihren Abdruck  Auf mein
  Glasgebäude drückte, die es ohne  Willen
  springen und zerbrechen ließ. Sie sah,
  dass etwas in mir riss, Und bot
  mir schnelle Hilfe an: „Was ist,
  kann ich dir helfen, Oder etwas
  für dich tun“? In meiner
  hoffnungslosen, aussichtslosen Lage, erst
  zum Tod verurteilt, Dann in
  Namenlosigkeit verbannt auf diese Insel,
  konnte keine Hilfe Hilfe sein.    | Die
  Scherben aber fielen nicht auf mich, Sie
  trieben langsam weit hinaus, Fast
  schienen sie den Orbit anzustreben. Einige von
  ihnen standen lange still Als
  warteten sie auf Beschleunigung. Das alles
  weckte meine Neugier.  Mein
  Gefühl realisierte sich noch im Zerbrechen, Das war
  neu für mich und  Hoffnung
  kehrte heim. Ich wusste
  nun, dass ich die Frau, die
  mich versorgte und die sich vier Männern
  teilte, gut verstand und bot ihr Unterschlupf
  in meinem Herzen an. Ich wärmte
  sie, und wir gefielen uns in engster Zweisamkeit. Ich konnte
  ihre Glücksgefühle, ihre  Zweifel
  plötzlich gut verstehen. Doch von
  meinem Glasgebäude sagte ich ihr Nichts.  Die Musik
  spielte ohne Unterlass, Und
  endlich stimmte sie auch mich mit mir  Zufrieden. Es verging
  viel Zeit bis ich das alles Niederschrieb. Ich gab
  dem Brief die Nummer achtunddreißig. Den hielt
  ich vor ihr versteckt. Als ich
  ihn aber eines Tages wieder lesen wollte, War er,
  wie die anderen davor, verschwunden. | 
| Namenlos von meiner Insel, 39.
  Brief Hilfe oder Menschenraub  Man holte
  mich erneut von meiner Insel. Diesmal waren
  es drei Frauen, die sich ohne  Waffen,
  ohne Uniform, ganz in Zivil in meine Wohnung drängten, Aber
  dennoch militärisch waren. Alle
  sprachen meine Sprache gut, dass ich Vertrauen
  schöpfte. Sie
  erklärten mir, dass sie auf meine Hilfe
  angewiesen wären. Durch mein
  Aussehn und durch mein  Erscheinen
  sei ich unauffällig und für eine gute Sache
  bestens vorbereitet. Weit
  entfernt, in einem Kriegsgebiet vermisste man ein  Kind mit
  seiner Mutter, das sei aufzufinden  Und zu
  retten.  Solch ein
  Einsatz müsste vorbereitet sein. Die Frauen
  waren jeweils der Ersatz für jede andere. So ging
  ich mit und nahm in ihrem Fahrzeug Platz. Zu meiner
  Überraschung sollte auch die Frau, die
  mich versorgte und die sich vier Männern
  teilte, mit mir reisen. Die war
  gar nicht überrascht: „Das
  Kriegsgebiet liegt sehr weit weg, Wir werden
  hingeflogen werden müssen“. Die drei
  Frauen hielten sich von nun an sehr  Bedeckt
  und sagten nur das Nötigste. Nach
  langer Fahrt erreichten wir die Küste und ein  Flightship
  mit dem Namen „Ground Effect“, ein Bodengleiter, Der mit
  kurzen Flügeln, deren Enden sich nach unten senkten, Auf dem
  Wasser schwamm, und stiegen ein. Der
  Gleiter eilte nach dem  Start in
  knapper Höhe über Meer und Wellen, Dann fast
  in Berührung über flaches  Land und Inseln,
  später wieder über Wasser
  einem unbekannten Ziel entgegen. Eine
  Laserschrift im Raum gab Reisewerte an: Wir flogen
  nahezu mit Schallgeschwindigkeit. Im Innern
  dieses Bodengleiters war viel Platz. Die
  Einrichtung war äußerst komfortabel, und  Der Raum
  bot sehr viel Wohnlichkeit. Ich spürte
  keinerlei Erschütterungen. Gegenstände,
  Tassen, Gläser mit Getränken blieben Ohne
  Zittern, wo sie standen. | Nach sechs
  Stunden sagte man die Landung an.  Die wurde
  von Soldaten überwacht und abgeschirmt. Wir mussten
  unsren Gleiter schnell verlassen, Und man
  führte uns vom  Flugplatz
  in ein luftiges Gebäude voller Schalter, Gates und Tausenden
  von Menschen. Die drei
  Frauen kannten sich hier aus und stellten sich und uns An einen
  Schalter, der nur einzeln Passagiere zuließ. Dort stand
  eine Frau mit einem kleinen Kind auf ihrem Arm. Sie schien
  zu warten. Plötzlich
  tauchte eine schwarz gekleidete Matrone auf, Verlangte
  nach dem Kind und nahm es ihr wie selbstverständlich Aus den
  Händen, drückte es an ihre übergroße  Brust, als
  wollte sie es rauben. Für
  Sekunden schien der Mutter alles zu versagen, Sie war
  einer Ohnmacht nahe und erblasste, Hielt die
  rechte Hand auf ihren  Mund und
  unterdrückte einen Schrei.  Nach
  kurzen Augenblicken gab die Frau das Kind zurück,  Verschwand
  mit Tränen in den Augen unter all den Menschen. Eine der
  drei Frauen klärte mich in Windeseile auf: „Das war
  die Schwiegermutter, die ihr Enkelkind verliert. Der Mann
  der Mutter ist schon lange ausgereist. Man hält
  sie nun als Pfand mit ihrem Kind zurück. Sie
  denken, dass er niemals wiederkommt. Die beiden
  werden streng bewacht“. Die Frauen
  schoben mich nun nah genug zur Mutter. Die schrie
  auf, als sie mich sah, und fiel mir um den Hals. Sie hielt
  mich für den wahren Ehemann Und konnte
  meine Heimkehr gar nicht fassen. Sie war
  überglücklich.   | Die
  Bewachung wurden sofort aufgehoben, als man meinen Passport
  prüfte und den Namen ihres Mannes darin fand. Man
  brauchte sie als Pfand
  nicht mehr und gab ihr ihre Pässe wieder. Doch die Frau,
  die mich versorgte, sprang nun ein Und gab
  sich aus als meine Ehefrau. Das wurde
  von der Mutter völlig falsch verstanden. Sie
  verklagte mich vor Ort der  Bigamie
  und ließ sich augenblicklich von mir scheiden. Das schien
  alles gegen ihren Willen zu
  geschehen, doch die drei Soldatinnen verstanden ihre Rolle,
  Helferinnen in der Not zu sein, sehr gut Und
  führten sie mit ihrem  Kind zum
  Bodengleiter. Ich und
  auch die Frau, die mich versorgte, wurden vor ein Schnellgericht
  gestellt. In einem
  Eilurteil verwies man uns als unerwünscht des Landes. Unsren
  Gleiter mussten wir sofort besteigen. Die
  Bewachung wurde abgezogen. Drinnen
  hörten wir, dass sich die Mutter und
  das Kind bereits in Sicherheit befänden. Dann
  begann für uns der Rücktransport.  Dies alles
  aufzuschreiben, fiel mir schwer. Die Frau,
  die mich versorgte, half jedoch dabei. War es nun
  Hilfe oder Menschenraub, was man uns abgefordert hatte. Sicher
  würden wir das nie erfahren. Meinem
  Brief gab ich die Nummer neununddreißig. Tagelang
  blieb er im Zimmer liegen Bis er
  eines Tages, wie die anderen, nicht mehr zu Finden
  war. Ich
  forschte auch nicht nach. | 
| Namenlos von meiner Insel, 40.
  Brief Das sagte alles.  Es
  erreichte mich ein Brief aus alter Zeit, Der nur
  die Anschrift trug:  „An Namenlos
  auf Alpha 7, 4“. Sonst
  waren weder Absender noch Stempel auszumachen, Und der
  Schreiber wäre mir für immer unbekannt geblieben, Hätte ich
  nicht eine wohl vertraute Schrift erkannt:  Ich selbst
  war damals der Verfasser dieser Zeilen, Die an mich
  gerichtet waren. Damit ging
  ich zu der Frau, die mich versorgte Und die
  sich vier Männern teilte, Sie um
  ihren Rat zu fragen, Wie und
  auch warum war dieser Brief zu mir gelangt? „Hast du
  dir überhaupt noch einmal durchgelesen, Was du
  seinerzeit an dich geschrieben hast,“ Erkundigte
  sie sich. Ich war
  zunächst verlegen, gab dann aber meine Antwort: „Ja“,  Und las
  noch einmal halblaut vor: „Wenn ich
  mir jemals etwas wünschen darf, dann möchte ich als Fremder
  unter Fremden und in  Einsamkeit
  auf einer Insel wohnen. Namenlos
  und unerkannt und ungenannt Will ich
  dort eine nie zuvor geahnte  Freiheit
  kennenlernen und mein Leben leben. Ach was
  gäbe ich darum, dass es geschieht“. Wir sahen
  uns für Augenblicke fragend an,  Dann sagte
  ich: „Wie war
  ich damals dumm und unerfahren“. Nur
  verhalten stimmte sie dem zu: „Es ist
  doch immer sehr gefährlich, sich herbeizusehnen  Was man
  gar nicht kennt, Denn dabei
  wird die Rückkehr nicht bedacht, Und sei es
  nur Erinnerung an das, was man verlassen hat. Erinnerung
  kann leicht zur Rückkehr in dein altes Leben
  führen und zur Falle werden.“ | Ich war
  sehr verwirrt und traurig.  Doch
  Erinnerung in mir war längst verblasst, und  Rückkehr
  war schon lange ausgeschlossen, Denn in
  meiner Heimat glaubte man mir meine Unschuld nicht. Die Frau,
  die mich versorgte, und die sich Vier
  Männern teilte, Holte ihre
  Okarina aus dem Schrank. Sie
  spielte eigentlich darauf, wenn sie alleine war. Dann
  konnte ich sie noch in meiner Wohnung hören. Was sie
  aber spielte und der Rhythmus  Waren
  meistens ungewohnt für mich. Die
  Okarina kannte ich trotzdem. Sie war
  aus weißem, schwerem  Porzellan,
  verziert mit blauen Ornamenten, und sie Wurde
  aufbewahrt in einer Schachtel. Die
  ergriff sie nun und nahm das Instrument heraus.  Zu meiner Überraschung
  aber sah ich sie ein Federleichtes,
  schillerndes Gerät entnehmen und an ihre  Lippen
  führen. Darauf
  spielte sie nun Weisen, die wie süßer Trost und
  Lobgesang in meine  Ohren
  spülten und mich wärmten.  Sie
  erinnerten an jene Tage, als ich Selbst
  gesungen und mich voller Lebenslust auf einem  Instrument
  begleitet hatte. Gerne
  hätte ich gewusst, woher die  Frau die
  Lieder kannte und sie so gut spielen konnte. Ihre
  Finger schlossen oder öffneten in  Leichtigkeit
  und Schnelligkeit die  Löcher
  ihrer Okarina, Und ich
  schaute auf den Mund der Frau, der Töne Hauch um
  Hauch entstehen Und der
  Ton um Ton mit ihrem Leib verschmelzen ließ. Sie wurde
  selbst das  Schillernde
  und Bunte Ihrer Melodien, in  Gelb und
  Scharlachrot, Perlmutt und Ocker,  Karmesin
  und Grün, die trugen sie in Schwerelosigkeit, Und sie,
  ihr Instrument und ihre Lieder, wurden eins.   | Vor meinen
  Augen wurde alles, einem Album aus
  der Tierwelt gleich, zu leuchtender  Unwirklichkeit.
   Es reizte
  mich, was meine  Augen sahen,
  mit den Händen zu berühren. Ich stand
  auf. Nur mit
  der Spitze meines  Zeigefingers
  wollte ich etwas an ihr ertasten. Dabei
  schien sie mich nicht wahrzunehmen, Und bevor
  ich sie erreichte, Löste sich
  die Okarina dicht an ihren Lippen auf in Abertausend
  kleinste Mosaiken,  Und ihr
  Kopf, ihr ganzer Körper  Barst fast
  in Bewegungslosigkeit zuerst in eine  Farbenwolke,
  dann zu Staub  Und
  schließlich formte sich daraus ein Regenbogennebel, Der im
  Raum verschwand. In
  gleicher Langsamkeit verklangen auch die Weisen. Plötzlich
  fand ich mich allein und in der größten Stille. Auf dem
  Tisch erkannte ich nur noch die leere Schachtel. Wie im
  Abschied ging ich heim in meine Wohnung,  Auch
  vielleicht, um sie zu suchen. Doch
  beinahe wagte ich den Augen nicht zu glauben,  Als ich
  sie dort unbeteiligt auf mich warten sah.  Ich wollte
  sie befragen, aber sie trat nah an mich Und legte
  mir den Zeigefinger auf den Mund. Das sagte
  alles. So schwieg
  ich und schrieb mir das Erlebte wieder auf. Dem Brief gab
  ich die Nummer vierzig, Und ich
  wunderte mich nicht, dass er nach ein paar Tagen
  nicht mehr aufzufinden war. | 
| Namenlos von meiner Insel, 41. Brief Die Sehnsucht schläft,
  die Sehnsucht wacht Ich weiß
  nicht wie ich es erzählen, Und wo ich
  beginnen soll, vielleicht fang ich am Ende an, Weil es
  der Anfang ist. Es klopfte
  eine Frau an meine Tür Mit einem
  Kind im Arm. Das Kind
  war noch sehr klein und konnte kaum die Augen
  offen halten. Seine
  Mutter sah sehr liebevoll auf es herab, Als wollte
  sie auch meine Augen darauf lenken. Wenig
  später aber schaute sie mich an, Und ich
  war sicher sie zu kennen,  Mehr als
  jeden andren Menschen auf der Welt, Doch
  konnte ich mich nicht erinnern. Sie
  hingegen hatte das vielleicht erwartet,  Denn sie
  half mir, als sie sagte: „Darf ich
  nicht mehr zu dir kommen? Bittest du
  mich nicht herein? Du tust,
  als sähst du mich das erste Mal“, Und trat
  in meine Wohnung. Dort nahm
  sie gezielt aus einem  Schrank
  ein Bündel Wäsche, Windeln, Höschen,
  Jäckchen und begann ihr  Kind zu
  wickeln. Zu mir
  sagte sie: „Mach
  bitte schon das Fläschchen für den Kleinen. Ach, wir
  haben dich die ganze Zeit vermisst, Und du
  hast sicher schon vergessen, wo du  Alles
  findest, oder?“ Ich stand
  regungslos an meinem  Platz und
  ließ sie wirken. Sie war
  flink, fand alles was sie brauchte und gab ihrem Baby erst
  die Brust und dann ein wenig von dem Fläschchen, Das sie
  dann, mit ihrem Kind im Arm, beiseite stellte. Von den
  Gegenständen, die sie in die Hände nahm, War mir in
  all den Jahren, die ich in Verbannung lebte,  Nie ein
  einziger begegnet. | Sie war
  stolz auf ihren Kleinen und bat mich ihn auf den Arm zu
  nehmen. Das war
  angenehm, ich tat es gerne.  Vorsichtig
  versuchte ich herauszufinden, wer sie war  Und fand
  die rechten Worte nicht: „Woher,
  ich meine..“ Sie sah
  erst zurück auf ihren  Kleinen,
  dann auf mich und sagte: „Er ist
  dir so ähnlich, wie aus dem Gesicht
  geschnitten. Denkst du
  manchmal noch an früher“? Ich war
  irritiert, weil ich nicht wusste, Was sie
  meinte, und ich sagte: „Haben wir
  uns sehr geliebt, ist dies dein Sohn, bin
  ich der  Vater
  deines Kindes“?  Darauf
  lachte sie und warf den Kopf zurück. Sie hatte
  glattes, dunkelbraunes Haar, das sie als Knoten
  trug, den hielt ein dünnes, schwarzes  Netz
  zusammen. Von den
  schmalen Schultern fiel ein buntes  Trachtenkleid
  bis über ihre Knie.  Das hatte
  einen weißen, Filigranen
  Ausschnitt, der dezent den Ansatz
  ihrer Brust umschloss.  Wenn sie
  mich ansah, hatte sie in ihren  Augen
  Mütterliches, Frauliches und Liebes, Das sie
  mir zutiefst sympathisch machte. „Nein,
  mein Lieber, du erkennst mich wirklich nicht. Ich habe
  einen Kinderwagen vor der Tür Und gehe
  mit dem Kleinen meinen  Weg, den
  ich gekommen bin“. Sie legte
  ihren Kleinen voller Umsicht in den Wagen Und ging
  los. Sie sagte
  nicht wohin. Ich sah
  ihr nach, bis sie zum Punkt verschmolz. Sie
  schaute sich nicht um. Dann ging
  ich in mein Haus und wartete Und dachte
  nach. Die Frau
  kam aber nicht zurück.   | Da ging
  ich schließlich zu der  Frau, die mich
  versorgte und die sich Vier
  Männern teilte, und erzählte ihr von dem Besuch. Die kam
  mit mir und fand in meinen  Schränken
  nichts von dem, was ich ihr  Aufgezählt
  und gestenreich beschrieben hatte.  Selbst die
  Babyflasche war nun fort. Die Frau,
  die mich versorgte, fragte: „Kann es
  sein, dass deine Mutter dich besuchen kam“? Ich war
  empört: „Die ist
  schon lange tot. Was meinst du denn damit“. „Vielleicht
  kam deine Mutter dich mit dir Besuchen,
  denn wer kennt schon seine eigne  Sehnsucht
  so genau“. Dabei ließ
  sie die Träger ihres Kleides von den Schultern
  gleiten, und ich sah, dass sie darunter Gar nichts
  trug. Sie kam
  ganz nah zu mir: „Die
  Sehnsucht schläft, die Sehnsucht wacht, Sie kommt
  und geht, Sie weint
  und lacht“, Und ihre Hände
  kletterten mit spitzen Fingern über meine  Brust und
  Schultern bis zum Hals  Und zogen
  mich zu ihr hinab. An diesem
  Abend saß ich lange wach und  Schrieb
  mir alles wieder auf. Dem Brief
  gab ich die Nummer einundvierzig. Der lag
  tagelang bei mir, bis er fast unbemerkt Von einer
  Unbekannten mitgenommen wurde. | 
| Namenlos von meiner Insel, 42. Brief Die Beine aber liefen mir vorweg  Am Strand der Insel lag ein Boot. Es war aus Aluminium und vorbereitet wie für eine
  Überfahrt. Ich sah mich um. Es war kein Mensch zu sehen. Ja, es stimmt, ich hatte oft an Flucht gedacht,
  doch immer nur mit Halbem Herzen, denn die Frau, die mich versorgte und die sich vier Männern teilte, ließe ich zurück. Ich liebte sie und wollte beides, sie und auch
  mein Glück versuchen. Ziemlich weit entfernt lag eine Nachbarinsel, die ich gut erkennen konnte, die
  war zu erreichen. An dem Boot entdeckte ich den Außenmotor, Wagte aber nicht ihn anzuwerfen sondern nahm die Ruderblätter, das war leise. Die Gelegenheit schien günstig, alles war wie
  vorbereitet. Ich kam schnell voran, Doch fast schon auf der Gegenseite, schien man
  meine Ankunft zu erwarten.  Eine Handvoll Frauen, die in edlen, langen,
  gleichermaßen blauen Kleidern barfuß gingen, Rafften ihre Röcke, um mein Boot ganz nah ans Ufer und dann auf den Strand zu ziehen. Sie begrüßten mich mit fremden Worten, aber ich verstand sogleich, dass sie mich
  sehr Willkommen hießen. Ja, man freute sich,  In meinen Armen hielt ich noch ein Kleiderbündel,
  das schien mir Verräterisch, und ich versteckte es im Boot. Es war hier alles eigenartig leicht und
  transparent. Die
  Kleider täuschten Fetzen eines  Himmels
  vor, der nach Ergänzung strebte, um als Ganzes zu
  erblühen. | Ein paar Männer, strahlend weiß gekleidet,
  hüllten sie als Wolken ein und blieben unauffällig stets in ihrer
  Nähe. Man bewirtete mich überschwänglich, Und es ging mir gut, denn ich nahm an, dass man
  mir Helfen wollte. Es verging nur wenig Zeit, dann kamen einige der Frauen auf mich zu und führten mich in einen Pinienwald und zeigten dann auf einen Weg. Den sollte ich nun gehen. Es erreichte mich von dort ein angenehmer, warmer Duft nach Harz, Lavendel und nach Pilzen. Jetzt erlaubte ich mir neu an Flucht zu denken, Und sah vorsichtig zurück, Die Beine aber liefen mir vorweg. Die Menschen waren klein geworden, Und von hier aus schienen sie mir ein umwölkter Traum aus Kinderzeit zu sein, Es traf nun Herz auf Seele. Nach nur kurzem Weg begegnete ich einer neuen Gruppe scheinbar in sich selbst vertiefter Menschen,
  deren Frauen sich in langen Silberkleidern zeigten. Die Gewänder leuchteten als Mondschein in der Finsternis des Waldes. Dieser Anblick rührte mich im Innersten, Als wäre er ein Teil
  von mir. Die Frauen gingen lichtergleich durch sich und
  mich hindurch, Und zwei von ihnen wurden Eins und Eines teilte sich in zwei. Ich konnte sie und ihre Kleider spüren und das Knistern ihrer Stoffe hören. Ich befand mich mitten unter ihnen und in einem Märchenwald, Die Männer waren schwarz gekleidet und verschwanden Fast in Dunkelheit. Ich hatte viel Vertrauen und verspürte keine Angst. Ich dachte an das Boot. Es lag wohl zu weit hinter mir.   | Die ganze Gruppe wiegte sich in stillem Tanz und schließlich war ich in der Mitte. Jemand reichte ein Getränk herum. Ich trank davon und atmete in Seligkeit, dass ich nun auch das Tanzen wagte. Einige der Männer kamen auf mich zu und lenkten
  meine Schritte fort von allen anderen bis an die neue
  Küste. Dort entdeckte ich ein Boot wie meines. Darin sah ich gleich mein Kleiderbündel und noch
  reichlich Speisen und auch Trinken. Ich stieg ein und wortlos stieß man mich vom Ufer
  ab. Es war noch immer Nacht. Die Strömung nahm mich mit. Ich fürchtete die Last des Motors und versenkte
  ihn. Ein Ruder brauchte ich zum Steuern. Gegen Morgen, rammte mich ein kleines Frachtschiff, dass ich in Gefahr geriet, Ich wurde aber schnell gesehen und an Bord
  geholt. Man fragte nicht woher ich kam und Nicht nach meinem Namen. Ich erfuhr jedoch das Ziel der Reise. Es war eine Hafenstadt im letzten Zipfel meiner wahren Heimat. Dort ließ man mich gehen, und ich wurde
  schließlich Aufgenommen als ein Findelmensch wie viele
  andere,  Um die sich eine freundliche Gemeinschaft
  kümmerte. Das war für mich besonders eine Frau, die sich
  vier Männern teilte und mich fragte, ob sie mich
  versorgen dürfte. In der Hand hielt sie ein Bündel Briefe, die erkannte ich an meiner
  Handschrift: „Die hab ich an mich genommen", sagte sie, „Und aufbewahrt“. Als wir alleine waren, nahm ich sie in meine Arme Und gestand ihr meine lange, lange Liebe. |